Entscheidungsstichwort (Thema)
Actio libera in causa
Leitsatz (amtlich)
1. Die Annahme einer vorsätzlichen oder fahrlässigen actio libera in causa setzt voraus, dass sich die Vorstellung des Täters vor Eintritt bzw. Herbeiführung des Defektzustandes auf eine bestimmte Tat bezieht.
2. Auch wenn bei einem Täter die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, kann das Gericht dennoch eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ablehnen, weil das dem Defektzustand vorausgehende Verhalten des Täters eine Versagung der Strafrahmensenkung zulässt.
Normenkette
StGB §§ 21, 49
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 31 Ns 155/14) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Essen - Strafrichter - hat den erheblich und auch einschlägig vorbestraften Angeklagten am 08. Juli 2014 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt und eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt.
Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die XI. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen mit Urteil vom 14. November 2014 als unbegründet verworfen. Hinsichtlich der Person des Angeklagten hat die Kammer auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens u.a. Folgendes festgestellt:
"Der Angeklagte leidet unter einer ausgeprägten Angstkrankheit (generalisierte Angststörung), deren Ursache in dem in der Vergangenheit zu verzeichenden Drogenmissbrauch bei dem Angeklagten bestehen könnte. Bei dieser Angstkrankheit handelt es sich um einen Dauerzustand, wobei sich die Krankheit in verschiedenen Symptomen äußert, so Nervosität, Zittern, Muskelspannung, Schwitzen bis hin zu Atemnot und Herzklopfen. Dieser Dauerzustand allein bewirkt allerdings nicht, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben oder dessen Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich eingeschränkt wäre. Der Angeklagte leidet allerdings zusätzlich unter anfallartig auftretenden Panikattacken. Diese brechen unvorhersehbar aus und führen auch zu einem zeitweiligen Kontrollverlust. Die Attacken äußern sich in einer übersteigerten Panikreaktion, wobei das Verhalten des Angeklagten in diesem Fall von einem starken Fluchtanreiz geprägt ist. Bei einer solchen anfallartig auftretenden Panikattacke kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Einzelfall die Steuerungsfähigkeit bei dem Angeklagten erheblich vermindert ist. Eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit oder gar eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit sind allerdings unter Wirkung einer solchen Panikattacke nicht anzunehmen."
In der Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte begab sich am 28.12.2013 gegen 17.35 Uhr in die T-Straße in F, um dort an Automaten Glücksspiele zu betreiben. Nach dem Betreten der Spielhalle wurde der Angeklagte durch die Sicherheitskraft Herrn L angesprochen, der verlangte, der Angeklagte solle sich der Hausordnung gemäß ausweisen. Der Angeklagte leistete dieser Aufforderung allerdings keine Folge und bemerkte zu dem Zeugen L, er müsse sich nicht ausweisen, da er in der Spielhalle sowieso bekannt sei, und ging an ihm vorbei zu den Spielautomaten. Der Zeuge L wiederholte seine Aufforderung, woraufhin der Angeklagte sich nach wie vor weigerte, sich auszuweisen. Er begann sodann trotz der Aufforderung des Zeugen L, nunmehr die Spielstätte zu verlassen, damit, an einem Automaten zu spielen, indem er eine Geldmünze hinein warf. Der Zeuge L brach daraufhin das Spiel ab und begann mit dem Angeklagten eine Diskussion, wobei er darauf hinwies, dass der Angeklagte nunmehr, da er sich geweigert habe, sich auszuweisen, die Spielhalle verlassen müsse. Der Angeklagte beharrte darauf, er sei in der Spielhalle bekannt und dürfe dort spielen. Im weiteren Verlauf der Diskussion wollte er dem Zeugen L zum Nachweis seiner Identität auch seine Aufenthaltsbescheinigung zeigen. Der Zeuge L nahm diese allerdings nicht zur Kenntnis, sondern beharrte darauf, dass der Angeklagte nunmehr die Örtlichkeit zu verlassen habe. Der Zeuge L begleitete den Angeklagten sodann in den unteren Eingangsbereich der Spielhalle zurück, wo der Angeklagte sich zu dem Zeugen L umdrehte und ihn anschrie. Als sich der Angeklagte dem Zeugen L weiter näherte, wehrte dieser den Angeklagten ab, indem er ihn zur Seite schubste. Hierdurch vergrößerte sich der Abstand zwischen dem Zeugen L und dem Angeklagten wieder etwas, wobei der Angeklagte allerdings nicht hinfiel. Der Angeklagte griff nunmehr in eine Tasche und zog eine Pfefferspraydose, die er bei sich trug, heraus. Aus einer Entfernung von etwa 2 m sprühte er mit dem ausgestreckten Arm zumindest einen Spraystoß in Richtung des Gesichts des Zeugen L, der, als er sich wegdrehte, an einer Gesichtshälfte von dem Sprühstoß getroffen...