Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Schätzung des Wirkstoffgehalts von Betäubungsmitteln. Gewerbsmäßigkeit des Handeltreibens im Sinne des § 29 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BtMG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Begründung, das in einem Gerichtsbezirk gehandelte Kokain verfüge nach den Erfahrungen der Strafkammer "in der Regel" über einen bestimmten Wirkstoffgehalt (hier: "von weit über 90 %, bis hin zu 99,9 %"), ersetzt nicht die für eine im Ausnahmefall zulässige Schätzung des Wirkstoffgehalts erforderlichen Angaben zur Qualität des Betäubungsmittels im Einzelfall und ist als Schätzungsgrundlage für den konkreten Wirkstoffgehalt ohnehin nicht geeignet, wenn nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Art und Weise dargelegt ist, worauf die entsprechenden Erfahrungen der Strafkammer beruhen.
2. Allein die Feststellung, dass ein Angeklagter bei verschiedenen nicht näher konkretisierten Gelegenheiten (hier: innerhalb von rund fünf Wochen) Drogen verkauft hat, erlaubt in ihrer Allgemeinheit, die weder die Häufigkeit dieser Verkaufsgeschäfte noch Art und Menge der hierbei gehandelten Drogen oder die hierbei erwirtschafteten bzw. beabsichtigten Gewinne erkennen lässt, keine zwingenden Schlüsse auf ein gewerbsmäßiges Handeln im Sinne des § 29 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BtMG.
Normenkette
BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Dortmund (Entscheidung vom 23.08.2018; Aktenzeichen 47 Ns 75/18) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Strafausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten am 23.08.2018 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen sowie wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Dortmund nach Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Vorwurfs des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 154 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde.
Zur Sache hat das Landgericht insbesondere folgende Feststellungen getroffen:
"Zumindest vom 20. Januar 2018 bis zum 27. Februar 2018 verkaufte der Angeklagte auf der T Straße in E für unbekannt gebliebene Hintermänner Kokain, um sich hierdurch seinen Lebensunterhalt und seinen Eigenkonsum zu verdienen. Öffentliche Leistungen oder andere Zuwendungen erhielt er in dieser Zeit nicht. Von der Polizei wurde er bei verschiedenen Gelegenheiten im Bereich der T Straße als Drogenverkäufer wahrgenommen.
1.
Am 20.01.2018 gegen 23.35 Uhr verkaufte der Angeklagte dem gesondert verfolgten S auf der T Straße 00 in Dortmund einen Folienbeutel mit 0,8 g Kokain. Das Kokain konnte bei dem S kurze Zeit später sichergestellt werden.
Im weiteren Verlauf der Nacht ... hielt sich der Angeklagte erneut auf der T Straße auf. Als sich der in Zivilkleidung eingesetzte Zeuge PK N näherte, sprach der Angeklagte diesen an und fragte ihn, ob er "etwas" brauche. Als sich der Zeuge N erkundigte, wieviel der Angeklagte denn habe, gab er diesem zu verstehen, dass man kurz auf einen "Kollegen" warten müsse. Sodann erschien der gesondert Verfolgte P, mit dem der Angeklagte arbeitsteilig zusammenwirkte, begrüßte den Zeugen N und holte dann aus seinem Mund einen Folienbeutel mit Kokain heraus. Als P nun erkannte, dass es sich bei dem Kunden um einen Polizeibeamten handelte, steckte er den Folienbeutel wieder in den Mund und schluckte ihn herunter.
Der Angeklagte führte 330,00 € Bargeld mit sich, das aus dem Drogenverkauf des Abends und der Nacht herrührte.
2.
Am 27.02.2018 hielt sich der Angeklagte wiederum auf der T Straße in E auf, um dort gewinnbringend Kokain zu verkaufen. Nachdem er Kokain im Wert von 240,00 € u.a. an den anderweitig verfolgten H verkauft hatte, erwarb ein weiterer Kunde für 25,00 € bei ihm 0,47 g Kokain, die später sichergestellt werden konnten.
Des Weiteren bot er dem Zeugen PHK O, der in ziviler Kleidung vor einem Zivilfahrzeug der Polizei stand, Kokain zum Verkauf an. Als der Zeuge O sich als Polizeibeamter zu erkennen gab und ihn festnehmen wollte, kam es zu einer Auseinandersetzung. Hierbei verlor der Angeklagte einen Foliendreher mit Kokain. Der heruntergefallene Foliendreher mit Kokain sowie das mitgeführte Bargeld in Höhe von 265,00 € wurden sichergestellt. ...
Der Wirkstoffgehalt des verkauften Kokains betrug mindestens 90 % Kokainhydrochlorid."
Zur Beweiswürdigung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Feststellungen auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten sowie ergänzend auf den Angaben des Zeugen O und O2 beruhten, wäh...