Leitsatz (amtlich)
Wird ein Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung einer Rechtsmittelfrist damit begründet, dass nach der Urteilsverkündung ein Merkblatt über die zulässigen Rechtsmittel nicht ausgehändigt worden ist, ist im Hinblick auf ein eigenes Verschulden des Antragstellers an der Fristversäumung immer auch noch zu prüfen, ob der Antragsteller gegebenenfalls Anlass hatte, den Verfahrensfehler durch eine Rückfrage bei Gericht oder die Einholung anwaltlichen Rates innerhalb der Rechtsmittelfrist aufzufangen.
Tenor
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts werden verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 3. April 2001 wegen Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers zu einer Geldbuße von 75 DM verurteilt. Nach Verkündung des Urteils wurde dem Betroffene die Rechtsmittelbelehrung erteilt, ein Merkblatt über die Rechtsmittelfristen wurde dem Betroffenen aber nicht ausgehändigt.
Mit am 12. April 2001 eingegangenem Schreiben legte der Betroffene "Einspruch" gegen das Urteil vom 3. April 2001 ein. Der Verteidiger des Betroffenen legte mit Schriftsatz vom 17. April 2001 Rechtsbeschwerde ein und beantragte deren Zulassung. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 3. Mai 2001 den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen. Daraufhin hat nunmehr der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und den Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, beide Anträge zu verwerfen.
II.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, über den zunächst zu entscheiden ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , 2001, § 346 StPO Rn. 17), hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zwar zulässig, er ist jedoch unbegründet.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO ist bei Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Antragsteller "ohne Verschulden" gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Maßgebend dafür ist die dem Antragsteller mögliche und zumutbare Sorgfalt (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , 2001, § 44 StPO Rn. 11 mit weiteren Nachweisen). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs trifft den Antragsteller vorliegend aber an der Fristversäumung ein Verschulden.
Dabei geht der Senat nach dem Inhalt der sich in der Akte befindenden dienstlichen Äußerung des Amtsrichters - das Protokoll der Hauptverhandlung vom 3. April 2001 schweigt insoweit - davon aus, dass der Amtsrichter den Betroffenen über die zulässigen Rechtsmittel richtig und vollständig belehrt hat. Aus der dienstlichen Äußerung folgt aber weiter, dass dem Betroffenen entgegen Nr. 142 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Nr. 285 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren ein Merkblatt über die einem Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsmittel nicht ausgehändigt worden ist.
Eine solche nur mündliche Belehrung bzw. die Nichtaushändigung eines Merkblatts wird inzwischen von der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung und Literatur als Entschuldigung für die Versäumung der Rechtsmittelfrist angesehen (vgl. u. a. BVerfG NJW 1996, 1811; OLG Köln NStZ 1997, 404; KG NZV 1992, 123 f. ; OLG Düsseldorf NStE § 44 StPO Nr. 26; auch OLG Hamm VRS 59, 347 ff. ; wohl auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O. , § 44 Rn. 13; a. A. noch OLG Köln OLGSt § 35 a StPO Nr. 1; OLG Schleswig SchlHA 1990, 113 bei Lorenzen/Görl). Nach Ansicht des Senats kann es dahinstehen, ob dem für alle Fälle der Rechtsmittelbelehrungen oder nur für schwierige, wozu nach der Entscheidung des hiesigen 1. Senats für Bußgeldsachen vom 4. März 1980 (OLG Hamm, a. a. O. ) die Belehrung über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gehören soll, zu folgen ist. Denn es ist ebenso einhellige Auffassung in der Rechtsprechung, dass derjenige, der eine Belehrung überhaupt nicht verstanden hat, schuldhaft im Sinn des § 44 Abs. 1 StPO handelt, wenn er sich nicht nach dem Fristbeginn für ein Rechtsmittel erkundigt (OLG Hamm JMBl NW 1973, 259) bzw. sich nicht bemüht, alsbald den Inhalt der Belehrung zu erfahren (BVerfG StV 1995, 394 Ls. ; OLG Hamm JMBl NW 1981, 166, Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O. , mit weiteren Nachweisen). Das letztere wird zwar (nur) im Hinblick auf ausländische, der deutschen Sprache nicht mächtige Antragsteller vertreten. Für deutsche Antragsteller kann aber nichts anderes gelten. Danach ist nach Ansicht des Senats in den Fällen, in denen ein Merkblatt über die zulässigen Rechtsmittel nicht ausgehändigt worden ist, immer auch (noch) zu prüfen, ob der Antragsteller gegebenenfalls Anlass hatte, diesen Verfahrensfehler durch eine Rückfrage bei Gericht oder die Einholung anwaltlichen Rates innerhalb der Rechtsmittelfrist aufzufangen (so wohl auch BVerfG NJW 1996, 1811, 1812). Dies gilt zumindest dann, wenn der Betroffene über die einzulegenden Rechtsmittel in Zweifel sein musste (BVerfG, a....