Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungshauptverhandlung. Abwesenheit des Angeklagten. Vertretungsvollmacht. Pflichtverteidiger. Beschränkung des Rechtsmittels

 

Leitsatz (amtlich)

Der zuvor als auf Grundlage einer umfassenden Vertretungsvollmacht als Wahlverteidiger tätige Rechtsanwalt ist nach seiner Bestellung als Pflichtverteidiger infolge Wegfalls der erteilten rechtsgeschäftlichen Vollmacht mit der Niederlegung des Wahlmandats ohne ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten nicht befugt, mit Wirkung für diesen eine Rechtsmittelbeschränkung zu erklären.

 

Normenkette

StPO § 329 Abs. 2, § 302 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 42 Ns 174/15)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamm hat den Angeklagten am 17. Juli 2015 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte zunächst unbeschränkt Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung am 17. März 2016 ist der Angeklagte nicht erschienen. Der mit Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 10. April 2015 bestellte und zuvor als Wahlverteidiger tätige Pflichtverteidiger, der nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils in der Hauptverhandlung bereit und willens war, für den Angeklagten aufzutreten, und nach Auffassung der Strafkammer zur Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten im Sinne des § 329 Abs. 2 StPO bevollmächtigt war, hat in diesem Termin das Rechtsmittel mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Im Folgenden hat das Landgericht die Berufung verworfen. Die Kammer hat dabei die Rechtsmittelbeschränkung als wirksam und daher die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils zur Tat als bindend angesehen und im Urteil als Zitat wiedergegeben.

Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese mit der Erhebung der allgemeinen Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision hat auf die Sachrüge hin (vorläufig) Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Die in der Berufungshauptverhandlung vom Verteidiger gemäß § 318 StPO erklärte Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, da dem Verteidiger zur nachträglichen Beschränkung eines Rechtsmittels - hier: der Berufung nach Ablauf der Begründungsfrist des § 317 StPO (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 3 Ss 514/07 -, [...] m. w. N.) - die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung fehlte. Dies hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen.

Zwar hatte der Angeklagte dem Verteidiger bei Erteilung des Wahlmandats vor dessen Bestellung zum Pflichtverteidiger eine am 10. April 2015 zur Akte gereichte (Formular)Vollmacht erteilt, die insbesondere das Recht umfassen sollte, "ein Rechtsmittel einzulegen, ganz oder teilweise zurückzunehmen oder auf es zu verzichten, sowie Rechtsmittel zu beschränken". Diese war jedoch zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung weder wirksam, noch würde sie bei unterstellter Wirksamkeit den an eine ausdrückliche Ermächtigung im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO zu stellenden Anforderungen genügen.

Die erteilte (Formular)Vollmacht ist mit der Niederlegung des Wahlmandats durch den Verteidiger im Zusammenhang mit seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger durch Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 10. April 2015 erloschen. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 168 BGB, wonach die Vollmacht mit dem ihr zugrunde liegenden Rechtsgeschäft erlischt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juni 2012 - III-1 RVs 41/12 -, [...]; OLG Hamm, Beschluss vom 3. April 2014 - III-5 RVs 11/14 -, [...]). Die besondere Vertretungsvollmacht des Verteidigers folgt auch nicht allein aus der Bestellung zum Pflichtverteidiger. Der Pflichtverteidiger hat grundsätzlich dieselbe Rechtsstellung wie der gewählte Verteidiger (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, vor § 137 Rn. 1). Er ist aber nicht der Vertreter des Angeklagten, sondern dessen Beistand, der einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen hat. Er bedarf daher ebenso wie der Wahlverteidiger zur Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung einer besonderen schriftlichen Vollmacht (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juni 2012, a. a. O.).

Eine ausdrückliche Ermächtigung gemäß § 302 Abs. 2 StPO muss sich zudem wegen der besonderen Tragweite, die eine Rechtsmittelrücknahme bzw. eine nachträgliche Rechtsmittelbeschränkung in aller Regel hat, nämlich der grundsätzlichen Unwiderruflichkeit der abgegebenen Erklärung und des regelmäßigen Ausschlusses einer Anfechtungsmöglichkeit wegen Irrtums, auf ein bestimmtes Rechtsmittel beziehen. Es bedarf daher g...

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