Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückführung eines Pflegekindes
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Wechsel von der Pflegefamilie zur Herkunftsfamilie ist jedenfalls dann nicht von einer überwiegend wahrscheinlichen Kindeswohlgefährdung auszugehen, wenn aufgrund zwischenzeitlich erfolgter Umgangskontrolle tragfähige Bindungen des Kindes auch zu seinen leiblichen Eltern bestehen und die leiblichen Eltern sowohl eine erhöhte Erziehungskompetenz als auch die erforderliche Bindungstoleranz aufweisen, die es dem Kind erlaubt, nach dem Wechsel den Kontakt zu seinen Pflegeeltern aufrecht zu erhalten.
2. Obwohl eine langsame Rückführung zu den leiblichen Eltern grundsätzlich den sanfteren und damit weniger kindeswohlgefährdenden Weg darstellt, ist eine kurzfristige Herausgabeanordnung angezeigt, wenn ein Aufschub des Wechsels wegen der Streitigkeiten zwischen den leiblichen und den Pflegeeltern zu einem Loyalitätskonflikt und damit einer weiteren Belastung des Kindes führen würde.
Normenkette
BGB § 1632 Abs. 4
Verfahrensgang
AG Lünen (Beschluss vom 27.01.2011; Aktenzeichen 12 F 471/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Lünen vom 27.1.2011 abgeändert.
Den Pflegeeltern wird aufgegeben, das am 19.5.2007 geborene Kind U bis zum 31.7.2013 an den Kindesvater herauszugeben.
Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 3.000 EUR.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Herausgabe des betroffenen Kindes von den Pflegeeltern an seinen leiblichen Vater.
Der Beschwerdeführer ist der Vater des am 19.5.2007 geborenen U. Er war mit der Kindesmutter von 2001 bis 2002 verheiratet. Aus der Ehe ist die Tochter D, geb. am 27.1.2001, hervorgegangen. Nach der Scheidung zogen die Eltern zunächst wieder zusammen und bekamen die Tochter Q, geb. am 21.4.2003. Nach der erneuten Trennung der Eltern im Jahr 2005 blieben die Mädchen beim Vater, der inzwischen für beide das alleinige Sorgerecht hat.
Auch nach der zweiten Trennung hatten die Kindeseltern weiterhin sexuellen Kontakt. Die Kindesmutter wurde erneut schwanger. Sie verschwieg dem Vater jedoch ihre neuerliche Schwangerschaft und stellte über Monate auch den Kontakt zu ihren Töchtern ein. Sie entband ihr drittes Kind allein und legte es anschließend in eine Babyklappe des L-Hospitals in V. Später meldete sie sich, teilte jedoch mit, den Namen des Vaters des Kindes nicht zu kennen. Nachdem das Jugendamt M in der Wohnung der Kindesmutter verwahrloste Zustände vorgefunden hatte, entzog das AG Lünen (12 F 253/07) der Kindesmutter im Wege der einstweiligen Anordnung am 13.7.2007 die elterliche Sorge und bestellte das Jugendamt der Stadt M zum Vormund. Das Jugendamt vermittelte U zum 1.8.2013 in eine Dauerpflegestelle, wo das Kind heute noch lebt.
Im November 2007 erfuhr der Vater von der Existenz des U. Am 21.11.2007 meldete er sich beim Jugendamt und erkannte seine Vaterschaft an. Nachdem das Jugendamt eine Zustimmung zum Vaterschaftsanerkenntnis nach § 1595 Abs. 2 BGB wegen des vorangegangenen widersprüchlichen Vortrags der Kindesmutter zunächst verweigerte, holte das AG ein Vaterschaftsgutachten ein, welches Ende Januar 2008 die Vaterschaft des Beschwerdeführers als "praktisch erwiesen" bestätigte.
Auch nachdem das Ergebnis des Vaterschaftstests bekannt war, kam kein Kontakt zwischen Vater und Kind zustande. Sowohl das Jugendamt als auch der Verfahrensbeistand äußerten Zweifel, ob U, der inzwischen in die Pflegefamilie integriert war, ohne Schaden zu nehmen in den Haushalt des Vaters wechseln könne. Unter dem 14.4.2008 stellte der Vater daraufhin einen Antrag auf Gewährung von Umgangskontakten zu seinem Kind.
Das AG richtete eine Umgangspflegschaft ein und gab ein Sachverständigengutachten zu der Frage in Auftrag, ob es dem Wohl U's widerspreche, wenn er auf Dauer aus seiner bisherigen Familie herausgenommen werde und im Haushalt des Kindesvaters aufwachse.
Die Umgangspflegerin bahnte beginnend mit Ende August 2008 Umgangskontakte in einem 3-4 wöchentlichen Rhythmus bei einer Besuchsdauer von 1 bis 1 ½ Stunden an, die zunächst allein im Beisein des Vaters und der Pflegemutter in den Räumlichkeiten des Jugendamtes stattfanden. Die Umgangspflegerin berichtete von einer großen Kooperationsbereitschaft dieser Beiden und teilte mit, dass aus ihrer Sicht die Umgangskontakte durchweg positiv für U verliefen. Eine vom Vater gewünschte Ausdehnung der Umgangskontakte erfolgte gleichwohl nach entsprechender Empfehlung des Sachverständigen nicht, da erst geklärt werden solle, ob eine Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie in Betracht komme. Erst dann wäre der Aufbau einer intensiven Beziehung U zu seinem Vater sinnvoll.
Mit Beschluss vom 2.11.2009 bestätigte das AG auf Empfehlung des Sachverständigen die einstweilige Anordnung vom 13.7.2007 und wies den Antrag des Vaters auf Übertragung der elterlichen Sorge zurück. Auf die Beschwerde de...