Leitsatz (amtlich)
Ein ärztlicher Heileingriff bei einem minderjährigen Kind bedarf grundsätzlich der Zustimmung beider sorgeberechtigter Eltern. Erscheint nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, darf dieser in von der Rechtsprechung präzisierten Ausnahmefällen - abhängig von der Schwere des Eingriffs - darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt hat.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 24.10.2014) |
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 24.10.2014 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden den Klägern auferlegt.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger haben als Eltern und Erben des am ...2008 geborenen und am ...2011 verstorbenen Kindes C von den Beklagten wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 500.000,00 EUR für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes begehrt. Einen daneben zunächst verfolgten Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Schäden haben sie im landgerichtlichen Termin vom 24.10.2014 für erledigt erklärt.
Das Kind war in der 32. Schwangerschaftswoche mit multiplen Krankheitssymptomen geboren worden. Es wurde deshalb anhaltend stationär im Herzzentrum D betreut. Wegen wiederholter Darmpassagestörungen wurde das Kind am 14.1.2009 in die kinderchirurgische Klinik der Beklagten zu 1) zur diagnostischen operativen Biopsie mit dem Zweck des Ausschlusses eines Morbus Hirschsprung verlegt. Am 16.1.2009 fand mit der Klägerin zu 1) ein Aufklärungsgespräch statt, bei dem auch ein schriftlicher anästhesistischen Aufklärungsbogen verwendet wurde, den die Klägerin zu 1) unterzeichnete.
Bei der am 19.1.2009 durchgeführten Operation kam es im Rahmen der von den Beklagten zu 2) vorgenommenen Narkoseeinleitung zu Schwierigkeiten bei der Intubation und Beatmung des Kindes. Dem hinzugezogenen Beklagten zu 3) gelang letztlich die Intubation. Nach der Operation wurde das Kind auf die pädiatrische Intensivstation verlegt, später auf die Kinderintensivstation. In der Folgezeit wurde das Kind fast permanent in anderen Krankenhäusern behandelt.
Die Kläger haben den Beklagten erstinstanzlich eine Reihe von Behandlungsfehlern vorgeworfen. Sie haben behauptet, infolge der Fehler habe das Kind schwerste Schädigungen am Gehirn und sonstigen sauerstoffunterversorgten Organen erlitten, insbesondere eine schwere aspiratorische Insuffizienz (ARDS) und massive neurologische Schäden, während das Kind vor der Operation nur an einer Darmstörung gelitten habe, die aber für die eingetretenen Folgen nicht verantwortlich sei.
Überdies sei die Klägerin zu 1) vor der Operation nicht hinreichend über Risiken und Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. Auch habe der Kläger zu 2) selbst keine Einwilligung erteilt, obwohl dies zwingend erforderlich gewesen sei. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätten sie nicht in die Operation eingewilligt.
Das LG hat die Klage nach schriftlicher und mündlicher anästhesiologischer Begutachtung abgewiesen.
Behandlungsfehler ließen sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen. Auch Aufklärungsmängel seien nicht gegeben. Der schriftliche Aufklärungsbogen indiziere eine entsprechende mündliche Aufklärung. Diese sei danach zu den Risiken hinreichend im Großen und Ganzen durch den Hinweis auf das Risiko hinsichtlich der Atemwege und eines möglichen Hirnschadens erfolgt. Eine ausdrückliche Einwilligung auch des Klägers zu 2) sei nicht notwendig gewesen, weil die Klägerin zu 1) mit ihrer Unterschrift versichert habe, dass im Einverständnis mit dem anderen Elternteil handele. Darauf hätten die Ärzte vertrauen dürfen. Die tatsächliche Einwilligung des Klägers zu 2) sei auch unstreitig.
Jedenfalls sei der Eingriff nach den Grundsätzen der hypothetischen Einwilligung gerechtfertigt.
Dagegen richtet sich die Berufung der Kläger, die das erstinstanzliche Begehren auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes weiter verfolgen.
Dabei greifen sie die Feststellung des LG zum Nichtvorliegen von Behandlungsfehlern nicht an. Sie machen aber weiterhin geltend, dass die Operation mangels wirksamer Einwilligung insgesamt rechtswidrig gewesen sei. Die Klägerin zu 1) sei der deutschen Sprache als Ausländerin nicht hinreichend mächtig gewesen. Der Kläger zu 2) habe wegen der Schwere des Eingriffs und der damit verbundenen Risiken nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ebenfalls aufgeklärt werden und in die Behandlung einwilligen müssen. Es sei auch inhaltlich keine hinreichende Risikoaufklärung erfolgt, weil die Lebensgefahr bei mangelhafter Sauerstoffversorgung nicht angesprochen worden sei. Auch sei nicht...