Leitsatz (amtlich)
1. Eine Haftbeschwerde, die sich gegen eine bestimmte, nach der Vorstellung des Erklärenden bereits ergangene Entscheidung richtet, ist bereits dann zulässig, wenn ein Haftbefehl erlassen und zur Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft übergeben worden ist, unabhängig davon, ob dem Beschuldigten der Haftbefehl bereits bekannt ist.
2. Der Zweck der Haftanordnung kann auch bei dem Haftgrund der Fluchtgefahr einer Akteneinsicht durch den Verteidiger und einer Bekanntgabe des Haftbefehls vor Ergreifung des Beschuldigten Entgegenstehen.
Tenor
Die weitere Haftbeschwerde wird auf Kosten des Beschuldigten verworfen.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Bielefeld führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren, in welchem ein Haftbefehl erlassen, dem Beschuldigten jedoch, da er unbekannten Aufenthalts ist, noch nicht verkündet worden ist. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Arnsberg die Haftbeschwerde des Beschuldigten vom 20. Oktober 2000 als unzulässig verworfen. Die gegen diese Kammerentscheidung gerichtete weitere Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.
Zwar ist entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft eine Beschwerde gegen den Haftbefehl zulässig, obwohl dieser dem Beschuldigten bisher nicht gemäß § 114 a StPO bekannt gemacht werden konnte. Eine zulässige Haftbeschwerde kann schon eingelegt werden, wenn der Haftbefehl erlassen und zur Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft übergeben worden ist (OLG Hamm, Beschluss vom 17. April 1997 - 2 Ws 109 u. 110/97 -; OLG Hamm, Beschluss vom 21. August 1997 - 4 Ws 428/97 -; OLG Stuttgart NStZ 1990, 247; Löwe-Rosenberg-Hilger, StPO, 25. Aufl. , § 114 Rdnr. 33). Der Beschuldigte ist nämlich durch die Existenz des Haftbefehls beschwert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Beschuldigten der Haftbefehl bereits bekannt ist. Die Rechtssicherheit verlangt generell, dass die Wirksamkeit von Prozesshandlungen nach einfachen Merkmalen geprüft werden kann. Die Einführung subjektiver Momente (z. B. Kenntnis einer Entscheidung) in diesem Zusammenhang wäre dem Prozessrecht wesensfremd (BGHSt 25, 187, 190). Etwas anderes gilt auch bei einem erlassenen, aber noch nicht verkündeten Haftbefehl, nicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn der Beschwerdeführer "ins Blaue hinein" eine Entscheidung, von der er gar nicht weiß, ob sie erlassen ist oder nicht, anficht (verneinend OLG Hamm VRS 37, 61). Denn vorliegend ist dem Beschuldigten jedenfalls bekannt, dass ein Haftbefehl existiert. Insoweit soll mit der Rechtsmitteleinlegung eine bestimmte, nach der Vorstellung des Erklärenden bereits ergangene Entscheidung angefochten werden.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Insbesondere ist eine Aufhebung des Haftbefehls nicht bereits wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt, weil die Staatsanwaltschaft der Verteidigerin bisher noch keine Akteneinsicht gewährt bzw. Kenntnis vom Inhalt des Haftbefehls gegeben hat. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 11. Juli 1994 (NStZ 1994, 551) entschieden, dass aus dem Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör der Anspruch des inhaftierten Beschuldigten auf Einsicht seines Verteidigers in die Akte folgt, wenn und soweit er die darin befindlichen Informationen benötigt, um auf die gerichtliche Entscheidung effektiv einwirken zu können und eine mündliche Mitteilung der Tatsachen und Beweismittel, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen gedenkt, nicht ausreichend ist. Dies gilt jedoch nach einer späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NStZ-RR 1998, 108) dann nicht, wenn ein Haftbefehl zwar erlassen, aber nicht vollzogen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung ausgeführt, ein vorläufig gegenüber dem Beschuldigten abgeschirmtes Ermittlungswissen der Strafverfolgungsbehörden sei wegen des Auftrags des Strafverfahrens, den Sachverhalt zu erforschen und die Wahrheit zu finden, verfassungsrechtlich unbedenklich. Zwar beschwere auch der bloße Erlass eines Haftbefehls gegen einen flüchtigen Beschuldigten. Seinem Informationsinteresse werde jedoch durch die Regelung der Strafprozessordnung - insbesondere zur richterlichen Vernehmung - ausreichend Rechnung getragen. § 115 Abs. 3 StPO bestimme, dass der Beschuldigte im Rahmen der Vorführung vor den zuständigen Richter nach Ergreifung aufgrund eines Haftbefehls auf die ihn belastenden Umstände und sein Recht hinzuweisen sei, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Weiterhin sei ihm Gelegenheit zu geben, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen. Dieser Informationspflicht gehe über die Mitteilung des Inhalts des Haftbefehls hinaus und umfasse auch das die Haft veranlassende Belastungsmaterial in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Erst im Rahmen der nach der richterlichen Vernehmung gebotenen Pr...