Leitsatz (amtlich)

Zur Annahme von Fluchtgefahr bei einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, die auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin gegen den Angeklagten im Berufungsverfahren festgesetzt worden ist.

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Entscheidung vom 05.06.2003)

 

Tenor

Der Vollzug des Haftbefehls des Landgerichts Bochum vom 05. Juni 2003 wird unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt:

Der Angeklagte hat Wohnung zu nehmen unter der Anschrift XXXXX.

Er hat seinen Reisepass bei der Staatsanwaltschaft Bochum zu hinterlegen.

Er hat sämtlichen gerichtlichen Aufforderungen und Ladungen Folge zu leisten.

Er hat sich einmal in der Woche bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden.

Im übrigen wird die Beschwerde verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Angeklagte zu tragen. Jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt; in diesem Umfang hat die Landeskasse die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe

I.

Dem Angeklagten, der in der Vergangenheit Drogen konsumiert hat, wird vorgeworfen, mit seinen Mittätern K. und Z. am 15. September 2001 einen Raub zum Nachteil des Zeugen G. begangen und dabei eine Beute von rund 100.00,00 DM gemacht zu haben. Der Angeklagte ist deswegen vom Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt worden. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Das Landgericht hat das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, über die bislang noch nicht entschieden ist. Der Mittäter K. ist rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, der Mittäter Z. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden.

Der Angeklagte erfuhr im Oktober 2001 von dem gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang damit, dass ihm eine Speichelprobe für einen DNA-Test entnommen werden sollte. Das Amtsgericht erließ am 21. Oktober 2001 gegen ihn Haftbefehl, der auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt war. Am 12. November 2001 hat sich der Angeklagte selbst den Ermittlungsbehörden gestellt und wurde vorläufig festgenommen. Der Haftbefehl des Amtsgerichts wurde am 13. November 2002 im Termin zur Verkündung des Haftbefehls außer Vollzug gesetzt. Dem Angeklagten wurde aufgegeben, sich drei Mal wöchentlich bei der für ihn zuständigen Polizeidienststelle zu melden. Dieser Haftbefehl ist nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung am 28. Januar 2003 vom Amtsgericht aufgehoben worden.

Der geständige Angeklagte hat während des Verfahrens allen gerichtlichen Ladungen Folge geleistet. Er wohnt inzwischen bei seiner Lebensgefährtin und ist seit Januar 2003 bei einer Arbeitnehmerüberlassungsfirma tätig.

Das Landgericht hat in der Hauptverhandlung vom 5. Juni 2003 erneut einen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen. Diesen hat es auf den Haftgrund der "Fluchtgefahr" gestützt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass nicht verkannt werde, dass der Angeklagte sich bei der Polizei selbst gestellt hat, geständig gewesen sei und sich dem Verfahren in 1. Instanz ebenfalls gestellt hat. Auch sei er zur Hauptverhandlung erschienen. Er habe jedoch bis zur Berufungshauptverhandlung davon ausgehen können, dass sich die Verurteilung im Rahmen der gegen die beiden Mittäter verhängten Freiheitsstrafen halten würde, also nicht mehr als drei Jahren betragen würde.

Der Angeklagte ist festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Er hat gegen den Beschluss des Landgerichts vom 5. Juni 2003 Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Haftbeschwerde des Angeklagten zu verwerfen.

II.

Die (Haft-)Beschwerde ist gemäß § 304 StPO zulässig und hat auch in der Sache teilweise Erfolg. Der Haftbefehl war nämlich gemäß § 116 StPO gegen Auflagen (erneut) außer Vollzug zu setzen.

1.

Mit dem Landgericht ist "dringenden Tatverdacht" im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO zu bejahen. Nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur besteht dringender Tatverdacht, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass ein Angeklagter Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., 2001, § 112 Rn. 5 mit weiteren Nachweisen). Davon ist vorliegend auszugehen. Der Angeklagte hatte gegen das amtsgerichtliche Urteil keine Berufung eingelegt, die Staatsanwaltschaft hat ihre Berufung auf das Strafmaß beschränkt. Die gegen das Berufungsurteil nunmehr eingelegte Revision des Angeklagten richtet sich als so genannte Strafmaßrevision also nicht (mehr) gegen den Schuldspruch und die ihn tragenden Feststellungen, sondern nur noch gegen die vom Landgericht festgesetzten Rechtsfolgen.

2.

Es ist auch (noch) von Fluchtgefahr im Sinne von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO auszugehen. Das Landgericht geht z...

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