Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen der summarischen Prüfung nach den §§ 49 ff., 26, 51 Abs. 1 S. 2, 31 FamFG im einstweiligen Sorgerechtsverfahren.
2. Grundsätzlich erlaubt der am 28.12.2012 in Kraft getretene § 1631d Abs. 1 BGB es den sorgeberechtigten Eltern bzw. dem allein sorgeberechtigten Elternteil, für ein noch nicht selbst urteils- und einwilligungsfähiges, mehr als sechs Monate altes Kind die Entscheidung zugunsten einer nicht medizinisch indizierten, aber nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchzuführenden Beschneidung aus autonomen kulturell-rituellen Gründen zu treffen. Auch ein deutlich unter 14 Jahre altes Kind ist bzgl. seiner möglichen eigenen Einwilligungs- und Urteilsfähigkeit durch das Familiengericht jedoch gem. § 159 Abs. 2 FamFG persönlich anzuhören, denn selbst im Falle dabei nicht feststellbarer eigener Einwilligungsfähigkeit sind die geäußerten Wünsche und Neigungen des Kindes im Rahmen des § 1631d Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung der §§ 1626 Abs. 2 S. 2, 1631 Abs. 2 BGB maßgeblich zu beachten. Der oder die sorgeberechtigten Elternteil(e) haben in einer dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechenden Art und Weise den beabsichtigten Eingriff mit ihm zu besprechen und in kindgerechter Weise zu versuchen, mit ihm Einvernehmen herzustellen.
3. Die Entscheidung nach § 1631d Abs. 1 BGB ist nur dann nicht wirksam von den oder dem sorgeberechtigten Elternteil(en) zu treffen, sondern im Streitfall zwischen Eltern zumindest im einstweiligen Anordnungsverfahren auf einen neutralen Ergänzungspfleger zu übertragen, wenn zwischen den Eltern in Streit steht, ob die Beschneidung zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen würde und sich im Rahmen einer Folgenabwägung kein gänzlich eindeutiges Ergebnis zugunsten der Beschneidung und gegen eine Kindeswohlgefährdung ergibt.
4. Die Frage der Kindeswohlgefährdung ist grundsätzlich auch im Rahmen des § 1631d Abs. 1 BGB am Maßstab des § 1666 BGB zu beantworten. Rein medizinisch-gesundheitliche Bedenken können insoweit nicht maßgeblich sein, da § 1631d Abs. 1 BGB (in Kenntnis des Gesetzgebers von den geringen medizinischen Restrisiken einer ordnungsgemäß durchgeführten Beschneidung) gerade eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt.
5. Je nach der hohen oder weniger hohen Schutzwürdigkeit des im Vordergrund stehenden Motivs des sorgeberechtigten Elternteils zugunsten der beabsichtigten Beschneidung kann die Schwelle der entgegenstehenden Kindeswohlgefährdung niedriger als nach dem allgemeinen Maßstab des § 1666 BGB anzusetzen sein.
6. Unabhängig von der Frage einer etwa entgegenstehenden Kindeswohlgefährdung setzt § 1631d Abs. 1 BGB die Erfüllung einer ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung voraus: Die Wirksamkeit der Einwilligung der oder des Personensorgeberechtigten in die Beschneidung hängt von einer von ihnen bzw. ihm darzulegenden und nachzuweisenden ordnungsgemäßen und umfassenden Aufklärung über die Chancen und Risiken des Eingriffs durch die mit der Durchführung der Beschneidung beauftragten Person, regelmäßig einen Arzt, ab.
Verfahrensgang
AG Dortmund (Beschluss vom 21.03.2013; Aktenzeichen 11 F 1527/13) |
Tenor
I. Die Beschwerde der Kindesmutter vom 13.6.2013 gegen den am 23.5.2013 erlassenen Beschluss des AG - Familiengericht - Dortmund i.V.m. dessen Beschluss vom 21.3.2013 (Aktenzeichen: 113 F 1527/13) wird zurückgewiesen.
II. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
III. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Kindeseltern streiten im einstweiligen Anordnungsverfahren um die Frage, ob ihr derzeit sechs Jahre alter Sohn G (*... 2007) am Penis ohne medizinische Indikation beschnitten werden soll.
Der Kindesvater (48 Jahre alt) und die Kindesmutter (31 Jahre alt, kenianische Staatsangehörige und seit dem 14.6.2012 mit Herrn M verheiratet) sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe sind der Sohn G und die Tochter O, geb. am 23.12.2008, hervorgegangen. Die Kinder leben seit der Trennung über die Ehescheidung hinaus im Haushalt der Kindesmutter. In dem beigezogenen Verfahren 113 F 4766/11 übertrug das AG - Familiengericht - Dortmund der Kindesmutter durch Beschluss vom 6.11.2011 die alleinige elterliche Sorge für G und O. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde nahm der Kindesvater in dem Verfahren II-3 UF 293/11 vor dem Senat zu Protokoll des Verhandlungstermins vom 12.6.2012 zurück, nachdem die Kindeseltern - die sich seit 2009 in einer Vielzahl von Kindschaftsverfahren vor dem AG Dortmund gestritten haben - eine Wiederanbahnung des Umgangs des Kindesvaters mit den Kindern unter Einschaltung einer Umgangspflegerin, Frau D, vereinbart hatten. Der Senat hat des Weiteren die das Umgangsrecht des Kindesvaters betreffenden Verfahren 113 F 4755/11 AG - Familiengericht - Dortmund = II-3 UF 12/12 OLG Hamm sowie 113 F 5507/11 AG - Familiengericht - Dortmund bei...