Leitsatz (amtlich)
Soweit kein besonderes, weiter gehendes Interesse des Klägers erkennbar ist, bemisst sich der Streitwert ab einseitiger Erledigungserklärung nach den bis dahin entstandenen Kosten des Rechtsstreits.
Normenkette
ZPO § 3
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 2 O 21/02) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Streitwertbeschluss des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Münster vom 27.5.2002 abgeändert.
Der Streitwert wird für die Zeit bis zum 21.12.2001 auf 50.000 DM (25.564,59 Euro), für die Zeit danach auf 3.726,30 DM (1.905,27 Euro) festgesetzt.
Gründe
Die Frage, welche Auswirkung die einseitige Erledigungserklärung auf den Streitwert hat, wird in Rechtsprechung und Lehre unterschiedlich beantwortet. Eine sog. „ganz herrschende Meinung” gibt es entgegen der von dem Einzelrichter des LG in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 10.7.2002 wiedergegebenen Auffassung derzeit wohl noch nicht, jedenfalls nicht dahin gehend, dass nach Erledigungserklärung der unveränderte Streitwert zugrunde zu legen ist; schon gar nicht lässt sie sich der Kommentierung von Putzo in Thomas/Putzo, 24. Aufl. 2002, § 91 ZPO Rz. 59–61 entnehmen.
In neueren Entscheidungen hat, soweit ersichtlich, zuletzt das LG München (LG München v. 28.2.2000 – 13 T 2517/00, NJW-RR 2001, 429) die Ansicht vertreten, auch nach einseitiger Erledigungserklärung sei der Streitwert nach dem vollen Wert der Klageforderung zu bemessen, weil das Gericht weiterhin Zulässigkeit und Begründetheit der ursprünglichen Klage zu prüfen habe (ebenso: OLG Brandenburg v. 10.10.1995 – 6 W 19/95, NJW-RR 1996, 1472; OLG München v. 28.2.1996 – 28 W 676/96, OLGReport München 1996, 107 = NJW-RR 1996, 956; OLG Köln MDR 1995, 163; OLG Düsseldorf JurBüro 1994, 114; OLG Bamberg JurBüro 1992, 762; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 60. Aufl. 2002, Anh. 3 ZPO Rz. 45).
Eine vor allem praktikable Lösung, nach der ein Bruchteil, 50 %–80 %, des bisherigen Streitwertes maßgeblich sein soll, weil das (Feststellungs-)Interesse des Klägers nicht mehr seinem vollen Leistungsinteresse entspreche, sich aber auch nicht auf das Kosteninteresse verkürze, das zudem eine rechnerisch komplizierte Ermittlung erfordere, haben OLG München JurBüro 1995, 644; OLG Köln JurBüro 1991, 832; OLG Bremen JurBüro 1971, 92; OLG Celle NJW 1970, 2113; Stein/Jonas/Bork, 21. Aufl. 1994, § 91a ZPO Rz. 47; AK-ZPO/Röhl, 1. Aufl. 1987, § 91a ZPO Rz. 49 favorisiert.
Demgegenüber bemisst der BGH (BGH v. 18.6.1996 – VI ZR 325/95, MDR 1997, 94 = NJW-RR 1996, 1210; v. 9.3.1993 – VI ZR 249/92, MDR 1994, 317 = NJW 1993, 765; v. 8.2.1989 – VI ZR 98/87, BGHZ 106, 359 [366] = MDR 1989, 523 = NJW 1989, 2885) – von Ausnahmen abgesehen, falls beim Ehrenschutz die Rechtfertigung im Vordergrund steht (BGH v. 8.12.1981 – VI ZR 161/80, MDR 1982, 571 = NJW 1982, 768) oder falls die Erledigterklärung auf einer Aufrechnung des Klägers beruht (WM 1978, 737) – in st. Rspr. den Streitwert ab einseitiger Erledigungserklärung nach den bis dahin entstandenen Gerichts- und Parteikosten. Dem sind mehrere Obergerichte gefolgt (OLG Dresden v. 14.10.1999 – 8 W 713/99, OLGReport Dresden 2000, 161 = NJW-RR 2001, 428; OLG Hamm v. 26.3.1999 – 23 W 573/98, MDR 2000, 175 unter Aufgabe von JurBüro 1973, 442; KG v. 5.1.1999 – 4 W 8985/98, KGReport Berlin 1999, 156 = MDR 1999, 380; OLG Schleswig v. 16.11.1998 – 9 W 198/98, OLGReport Schleswig 1999, 79; OLG Naumburg v. 21.2.1997 – 7 W 8/97, OLGReport Naumburg 1998, 32; OLG Hamm v. 13.1.1995 – 13 UF 304/94, NJW-RR 1995, 959; OLG München [29. ZS] NJW 1995, 1086; OLG Karlsruhe v. 13.8.1993 – 6 W 38/93, MDR 1994, 217 = NJW-RR 1994, 761). In der Kommentarliteratur vertreten diese Auffassung Musielak/Wolst, 3. Aufl. 2002, § 91a ZPO Rz. 47; Zöller/Herget, 23. Aufl. 2002, § 3 ZPO Rz. 16; Zöller/Vollkommer, 23. Aufl. 2002, § 91a ZPO Rz. 48; Lindacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 91a ZPO Rz. 90, 103. Diese Auffassung von Putzo in Thomas/Putzo, 24. Aufl. 2002, § 91 ZPO Rz. 59–61 wird als wohl h.M. bezeichnet, so auch Protokoll des Einzelrichters vom 18.3.2002, Bl. 37 d.A.
Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen. Mit der einseitigen Erledigungserklärung beschränkt der Kläger sein Klageziel auf ein entspr. Feststellungsbegehren, das nach § 3 ZPO zu bewerten ist. Soweit – wie im vorliegenden Fall – kein besonderes, weiter gehendes Interesse des Klägers erkennbar ist, geht es ihm regelmäßig nur darum, die Kostenlast abzuwehren (OLG Hamm v. 26.3.1999 – 23 W 573/98, MDR 2000, 175 unter Aufgabe von JurBüro 1973, 442). Es kommt ihm regelmäßig nicht auf die aus prozessrechtlichen Gründen verlangte Feststellung an, dass die Hauptsache erledigt ist, sondern auf die damit verbundene Kostenentscheidung des Urteils. Auch der Umstand, dass das Gericht bei einer nur einseitigen Erledigungserklärung nach wie vor die ursprüngliche Zulässigkeit und Begründetheit der Klage prüfen muss, rechtfertigt keinen höheren Streitwert, zumal auch bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen für die Kostenentscheidung nach § 91a ZPO ...