Entscheidungsstichwort (Thema)

„Freiwillige” Zahlung bei Insolvenzantrag

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Urteil vom 19.12.2002; Aktenzeichen 6 O 380/02)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 19.12.2002 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bielefeld abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.395,75 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.2.2002 zu zahlen.

Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Gründe

A. Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung auf Rückzahlung eines Betrages von 12.508,99 DM in Anspruch, den die Beklagte dadurch erlangt hatte, dass ihr vom Kläger als damaligem Gutachter im Rahmen eines Insolvenzeröffnungsverfahrens am 20.9.2001 ein Scheck der späteren Insolvenzschuldnerin in dieser Höhe zur Begleichung eines unstr. Teils einer Forderung der Beklagten übersandt worden ist; der Beklagten wurde der Betrag anschließend auf ihrem Konto gutgeschrieben.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Eine Anfechtung nach § 131 InsO komme nicht in Betracht, da mangels Einsatzes staatlicher Machtmittel in Form einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme keine inkongruente Befriedigung angenommen werden könne. Die Zahlung könne auch nicht nach § 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO angefochten werden. Die Beklagte habe aufgrund des Rates des Klägers, den sie für einen vorläufigen Insolvenzverwalter gehalten habe, den Insolvenzantrag zurückzunehmen, davon ausgehen dürfen, dass ihre eigene Einschätzung der Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin falsch gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt. Er vertritt die Auffassung, die neuere Rspr. des BGH, die eine inkongruente Deckung bereits bei „freiwilliger” Zahlung nach angedrohter Einzelzwangsvollstreckung annehme, müsse erst recht gelten, wenn der Insolvenzschuldner unter dem Eindruck eines gegen ihn gestellten Insolvenzantrages zahle. Außerdem sei die Anfechtung jedenfalls nach § 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO begründet. Schon die Kenntnis von der Tatsache, dass die Firma G. Forderungsmanagement nicht mehr bereit gewesen sei, Forderungen gegen die Insolvenzschuldnerin zu versichern, reiche hierfür aus. Zudem müsse die Beklagte sich entgegenhalten lassen, dass sie zuvor selbst einen Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin gestellt habe.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beruft sich vor allem darauf, dass sie nur das getan habe, was der Kläger persönlich ihr geraten habe und er nun nicht mit der Behauptung gehört werden könne, die Beklagte habe es besser als er selbst wissen müssen.

B. Die zulässige Berufung ist auch in der Sache begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung des durch die Hingabe des Schecks der Insolvenzschuldnerin erlangten Betrages nach § 143 Abs. 1 S. 1 InsO. Die Scheckzahlung war anfechtbar.

I. Die Hingabe des Schecks der späteren Insolvenzschuldnerin und die hieraus resultierende Gutschrift des Betrages auf dem Konto der Beklagten sind nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar. Denn die Gutschrift erfolgte im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 8.10.2001. Die Beklagte, eine Insolvenzgläubigerin i.S.d. § 131 InsO, hat hierdurch auch eine Befriedigung erhalten, die sie nicht zu beanspruchen hatte.

Denn die Zahlung erfolgte nur unter dem Druck des von der Beklagten gestellten Insolvenzantrages. Eine auf eine solche Weise erlangte Befriedigung ist wie eine während der „kritischen” Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigung (BGH v. 9.9.1997 – IX ZR 14/97, BGHZ 136, 309 [311 ff.] = MDR 1997, 1140) und eine unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigung (BGH v. 11.4.2002 – IX ZR 211/01, BGHReport 2002, 803 = MDR 2002, 1027 = NJW 2002, 2568; Urt. v. 15.5.2003 – IX ZR 194/02, MDR 2003, 1199 = BGHReport 2003, 980) als inkongruent anzusehen (stillschweigend offen gelassen von BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178 = MDR 2002, 416 = BGHReport 2002, 218). Denn wenn der Gläubiger trotz fälligen Anspruchs und grundsätzlich legaler Zwangsmaßnahmen oder Zwangsandrohung in dieser zeitlichen Phase zugunsten der Gläubigergesamtheit zurücktreten muss (es sei denn, der Schuldner zahlt freiwillig ohne Druck gerade an ihn), so darf auch die Maßnahme des Insolvenzantrags eines späteren Insolvenzgläubigers nicht dazu führen, dass der...

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