Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach der Neufassung von § 302 ZPO ist der Erlass eines Vorbehaltsurteils unzulässig, durch welches bei einer im Rahmen der Differenztheorie vorzunehmen-den Verrechnung dem Auftragnehmer ein Werklohnanspruch zugesprochen und dem Auftraggeber die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vorbehalten wird. Das gilt insb. dann, wenn die Fälligkeit des Werklohnanspruchs nur daraus folgt, das sich das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis umgewandelt hat.
2. Kommt eine weitere Erfüllung eines Werkvertrages durch den Auftragnehmer nicht mehr in Betracht, weil der Auftraggeber nicht (mehr) Mängelbeseitigung sondern Schadensersatz fordert, hat nach ständiger Rechtsprechung des BGH (zuletzt BGH NJW 2003, 288) unabhängig von einer Abnahme eine endgültige Abrechnung über die Bauleistung des Auftragnehmers und die Schadensersatzansprüche des Auftraggebers statt zu finden (Abrechnungsverhältnis).
3. Bei der vorzunehmenden Abrechnung ist in Anwendung der sog. Differenztheorie eine Verrechnung vorzunehmen zwischen dem Vergütungsanspruch des Auftragnehmers einerseits und sämtlichen mit der geschuldeten Gegenleistung in Zusammenhang stehenden Schadensersatzansprüchen des Auftraggebers andererseits.
4. Die Differenztheorie ist nicht auf solche Fälle beschränkt, in welchen der Auftraggeber die mangelhafte Werkleistung zurückweist und Schadensersatz wegen Nichterfüllung des gesamten Vertrages verlangt. Vielmehr findet sie auch Anwendung, wenn der Auftraggeber das Werk behält und Schadensersatz nur wegen einzelner Mängel geltend macht.
Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 27.11.2002; Aktenzeichen 21 O 28/93) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27.11.2002 verkündete Versäumnis- und Vorbehaltsurteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Münster aufgehoben, soweit der Beklagte zur Zahlung von 441.554,25 Euro nebst Zinsen verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit an das LG zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Gründe
I. Der Kläger ist Konkursverwalter über das Vermögen der P. GmbH in A. Er nimmt die Beklagte auf Zahlung von Restwerklohn aus der Erstellung einer Wohnanlage mit 65 Wohneinheiten in U. in Anspruch. Die Beklagte hat sich u.a. mit Schadensersatzforderungen aus diesem Bauvorhaben, die sie hilfsweise zur Aufrechnung gestellt hat, verteidigt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils v. 22.1.2003, durch welches Tenor und Tatbestand des angefochtenen Urteils ergänzt wurden, Bezug genommen. Das LG hat durch Versäumnis- und Vorbehaltsurteil v. 27.11.2002 der Klage i.H.v. 441.554,25 Euro nebst Zinsen stattgegeben und der Beklagten die Aufrechnung mit den von ihr geltend gemachten Schadensersatzansprüchen vorbehalten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, wobei es i.H.v. 52.649 Euro durch Versäumnisurteil entschieden hat. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf S. 9 ff. des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten.
Die Beklagte ist der Ansicht, das angefochtene Urteil könne bereits deshalb keinen Bestand haben, weil ein Vorbehaltsurteil nur dann erlassen werden könne, wenn die Verhandlung über die Forderung zur Entscheidung reif sei. Das Erstgericht habe eine solche Entscheidungsreife rechts- und tatsachenirrig angenommen. So sei die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen und Entscheidungsreife bereits aus tatsächlichen Gründen nicht gegeben gewesen. Entscheidungsreife sei auch deswegen nicht gegeben, weil eine endgültige förmliche Abnahme nicht stattgefunden habe und auch nicht entbehrlich gewesen sei, weil eine Kündigung des Vertrages zu keinem Zeitpunkt stattgefunden habe. Insbesondere sei Entscheidungsreife deshalb nicht gegeben, weil die zur Verrechnung gestellten Gegenforderungen der Beklagten nicht hätten unberücksichtigt bleiben dürfen. Die Beklagte habe Gegenforderungen zum Gesamtwert von insgesamt über 2,7 Mio. DM reklamiert, die in einer die Klageforderung deutlich übersteigenden Höhe allein durch unmittelbare Restfertigstellungs- und Mangelbeseitigungskosten entstanden seien. Mache der Auftraggeber wegen Mängeln des Werks Schadensersatz geltend, so entstehe ein Abrechnungsverhältnis, in welchem der gesamte Werklohnanspruch des Auftragnehmers mit den Schadensersatzansprüchen des Bestellers zu verrechnen sei. Der Schaden des Bestellers liege darin, dass er für ein insoweit unbrauchbares Werk eine Vergütung zahlen solle. Dieser Schaden sei in der Weise zu ersetzen, dass der Unternehmer keine Vergütung verlangt. Die Differenztheorie sei auf alle Ansprüche aus § 635 BGB oder § 13 Nr. 7 VOB/B anzuwenden, die mit der geschuldeten Gegenleistung im Zusammenhang stünden einschließlich der Ansprüche aus schuldhafter Verletzung der Nachbesserungspflicht und zwar unabhängig davon, ob der ...