Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweislast des Versicherers; Nachfrageobliegenheit des Versicherers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nach der sog. Auge-und-Ohr-Rechtsprechung gilt auch, wenn der Versicherungsnehmer - isoliert - die Feststellung begehrt, dass ein Versicherungsvertrag durch eine Rücktrittserklärung des Versicherers nicht beendet sei.

2. Macht der künftige Versicherungsnehmer bei der Beantwortung der Antragsfragen ersichtlich unvollständige oder unklare Angaben, so trifft, wenn nicht der Versicherungsnehmer arglistig handelt, den Versicherer eine Nachfrageobliegenheit. Dabei ist die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung zu berücksichtigen und dem Versicherer das Wissen seines Agenten zuzurechen: Dass Angaben ersichtlich unvollständig oder unklar sind, kann sich daher auch aus dem ergeben, was der Versicherungsnehmer dem Agenten - unwiderlegt - mündlich erklärt hat. Unterlässt der Versicherer die gebotene Nachfrage, ist ihm ein Rücktritt gestützt auf die unvollständige oder falsche Antwort verwehrt.

 

Normenkette

VVG a.F. §§ 16 ff.

 

Verfahrensgang

LG Münster (Urteil vom 13.08.2007; Aktenzeichen 15 O 526/06)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13.8.2007 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des LG Münster abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen zu den Lebensversicherungen Nr. L 6118074 und L 7554863/6270 - ANN nicht durch die Rücktrittserklärung der Beklagten vom 25.7.2005 beendet worden sind.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Im Juli 2003 verhandelte die Klägerin zwecks Neugestaltung ihres Versicherungsschutzes mit dem Zeugen A, einem Versicherungsagenten der Beklagten.

Unter dem 24.10.2003 beantragte die Klägerin schriftlich über den Zeugen A bei der Beklagten den Abschluss einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ), wobei für den Fall der Berufsunfähigkeit eine Rente von 24.000 EUR im Jahr und Beitragsbefreiung vorgesehen war (Bl. 125 f.).

Der Zeuge A las die Antragsfragen des Formulars vor. Die Frage nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen innerhalb der letzten fünf Jahre wegen bestimmter, dort im Einzelnen aufgführten Erkrankungen ist von der Klägerin im Antragsformular bejaht worden. Des Weiteren heißt es dort (Bl. 126):

"Art der Erkrankung/Beeinträchtigung: nein

Wann/Dauer? ...2002 Entbindung

Folgen? beschwerdefrei

Regelmäßige Medikamentenverordnung (Mittel Dosierung)? keine Medikation

Von wem wurden Sie untersucht, beraten, behandelt oder operiert (Name, Fachrichtung, Anschrift)? Dr. O"

Die weiteren "Fragen an die zu versichernde Person" im Antragsformular zu Ziff. 3.-5. sind dort verneint.

Auf die Frage nach dem Hausarzt ist im Antragsformular "Dr. K" angegeben.

Die Beklagte policierte den Antrag unter dem 29.12.2003 unter der Versicherungsnummer L6118074 (Bl. 65 ff.).

Am 2.12.2004 beantragte die Klägerin über den Zeugen A bei der Beklagten den Abschluss einer Lebensversicherung mit BUZ, in der lediglich Beitragsbefreiung für den Fall der Berufsunfähigkeit vorgesehen war (Bl. 128 f.).

Auch bei diesem Antrag las der Zeuge A die Fragen im Antragsformular im Einzelnen vor. Auch hier wurde als Hausarzt Dr. K eingetragen. Die Frage nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen innerhalb der letzten fünf Jahre wegen bestimmter Erkrankungen wurde auch dort mit "ja" beantwortet. Auch dort wurde sodann die Entbindung aus xx 2002 angegeben. Die weiteren Gesundheitsfragen wurden im Antragsformular verneint.

Die Beklagte policierte diesen Antrag unter dem 9.12.2004 unter der Versicherungsnummer L7554863 (Bl. 96 ff.).

Die Klägerin hatte am 10.4.2000 einen Unfall erlitten, bei dem sie sich das obere rechte Sprunggelenk verstauchte.

Am 20.5.2000 hatte die Klägerin einen Unfall mit einer Verletzung des linken oberen Sprunggelenks erlitten. In der Folge war sie vom 21.05. bis 30.6.2000 arbeitsunfähig krank.

Am 03./4.1.2002 war die Klägerin mit dem Fuß umgeknickt und hatte sich das rechte Sprunggelenk verletzt, weshalb eine Aircastschiene getragen werden musste.

Am ... 2002 hatte die Klägerin entbunden.

Nach Beschwerden an der Halswirbelsäule am 11.5.2002 hatte die Klägerin das Krankenhaus ... aufgesucht. Es wurden Röntgenaufnahmen gefertigt und eine HWS-Distorsion festgestellt. Als Therapie erfolgten paravertebrale Infiltrationen über der HWS. Die Anlage eines Salbenverbandes und Wärmeanwendungen wurden angeraten.

Am 20.12.2002 hatte die Klägerin ihren Hausarzt Dr. K wegen Schmerzen an der Brustwirbelsäule aufgesucht.

Nach einem Reitunfall am 10.3.2005 stellte die Klägerin bei der Beklagten aus den vorbezeichneten BUZ-Verträgen Leistungsanträge. Die Beklagte forderte daraufhin Unterlagen des Hausarztes Dr. K an, die dieser unter dem 27.6.2005 übersandte. Mit Schreiben vom 25.7.2005, das der Klägerin unter dem 26.7.2005 zugestellt wurde, erklärte die Beklagte den Rücktritt von beiden Be...

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