Leitsatz (amtlich)

Ein Augenarzt, der einem Patienten nach fehlerhafter Behandlung Schadensersatz schuldet, muss das vom Landschaftsverband als dem zuständigen Sozialhilfeträger an den Patienten gezahlte Blindengeld nicht erstatten.

 

Normenkette

BGB § 280 Abs. 1, § 611; SGB X § 116; GHBG NW § 7

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 16.12.2015; Aktenzeichen 6 O 205/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 16.12.2015 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bochum abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht als Sozialhilfeträger Regressansprüche aufgrund der Zahlung von Blindengeld geltend, das er seit Januar 2009 an Herrn D (im Folgenden: Herr D) zahlt.

Herr D war in den Jahren 2006 bis 2007 u.a. wegen Augenschmerzen und Dunkelsehens mehrfach beim Beklagten vorstellig geworden. Dabei suchte Herr D im Jahr 2007 insgesamt viermal den Beklagten auf, und zwar zweimal wegen Augenschmerzen am 16.03. und am 03.08.2007. Der Beklagte diagnostizierte am 16.03. eine bakterielle Conjunktivitis und am 03.08. 2007 einen conjunktiven Reizzustand. In beiden Fällen verordnete er Augentropfen.. Am 07.09.2007 wurde Herr D erneut vorstellig und klagte über Dunkelsehen auf dem linken Auge; der Beklagte empfahl ihm als Therapie Omnimed Protect Augentropfen. Am 18.10.2007 erschien Herr D zu einer weiteren Routineuntersuchung; eine Mydriasis (Weitstellung der Pupillen) unterblieb, da Herr D per PKW angereist war.

Bei einem anschließenden Türkei-Aufenthalt des Herrn D ergab eine dortige Untersuchung Hinweise auf ein fortgeschrittenes Glaukom. Herr D suchte nach seiner Rückkehr nach Deutschland eine andere Arztpraxis auf. Die dort vorgenommene Augeninnendruckmessung ergab deutlich erhöhte Werte (46 mmHg rechts/37 mmHg links). Es folgte am 23.11.2007 eine Gesichtsfeldüberprüfung, bei der eine konzentrische Einengung rechts auf 30-40 sowie links 25 festgestellt wurde. Danach wurden eine Glaukomoperation am 04.12.2007 am linken Auge sowie am 05.02.2008 am rechten Auge durchgeführt.

Die Sehschärfe von Herrn D betrug im November 2008 nur noch 0,5 links und 0,63 rechts. Eine spätere Gesichtsfeldüberprüfung ergab eine Verengung auf unter 5 , womit Herr D so gut wie blind ist.

Der Kläger bewilligte Herrn D mit Bescheid vom 14.05.2009 rückwirkend ab dem 01.01.2009 Blindengeld.

Herr D führte einen Schriftwechsel mit dem Haftpflichtversicherer des Beklagten und machte Schadensersatzansprüche geltend. Der Haftpflichtversicherer beauftragte intern eine Sachverständige namens "Dr. N mit einem Gutachten. Dieses ergab einen groben Behandlungsfehler des Beklagten. Demnach hätte der Befund "diskrete Hornhaut-Endothelpigmentbeschläge" ("Krokenbergspindel") vom 30.11.2006 zu einer weiteren differenzialdiagnostischer Abklärung mittels Augendruckmessung führen müssen, da diese Krokenbergspindeln den Verdacht auf ein Pigmentdispersionsglaukom begründe (grüner Star). Für diese Untersuchung wäre auch keine Pupillenerweiterung notwendig gewesen; sondern lediglich eine Terminsansetzung zur Gesichtsfelds-/Augenhintergrunduntersuchung mit dem unmissverständlichen Hinweis auf die Gefahrenlage und die möglicherweise eintretenden Folgen bei Nichtwahrnehmung eines solchen Termins.

Mit Schreiben vom 17.05.2010 teilte der Haftpflichtversicherer mit, dass er eine Abfindung von 450.000 EUR für denkbar halte, wovon 50.000 EUR als pauschale Entschädigung für vermehrte Bedürfnisse anzusetzen seien (Bl. 37 ff. d.A.). Nach einem weiterem Schriftwechsel bot der Haftpflichtversicherer am 01.07.2010 Herrn D eine Abfindungsvereinbarung an, die eine Gesamtzahlung von 475.000 EUR vorsah, ohne dass eine weitere Aufschlüsselung genannt wurde. Herr D schickte diese unterschrieben zurück und erhielt den Geldbetrag.

Herr D machte seinem Sachbearbeiter beim Kläger am 02.09.2010 Mitteilung über die Abfindungszahlung, wobei sein Anwalt darauf verwies, dass ein Betrag von 50.000 EUR für die durch Blindheit bedingten Mehraufwendungen gezahlt worden sei. Der Fall wurde am 14.10.2010 an die interne Regressabteilung des Klägers weitergeleitet. Auf der Grundlage der eingegangenen Zahlung nahm der Kläger nunmehr monatliche Abzüge vom Blindengeld in Höhe von 110 EUR vor. Dabei wurde der gezahlte Betrag von 50.000 EUR auf die statistisch verbleibende Lebenserwartung von Herrn D aufgeteilt.

Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 15.11.2013 an den Haftpflichtversicherer des Beklagten, zeigte den potenziell bestehenden Schadensersatzanspruch an und bat um Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung. Dieser wurde zunächst bis zum 31.12.2014, sodann bis zum 31.12.2015 erklärt, jeweils unter der Bedingung, dass die Verjährung nicht bereits eingetreten sei.

Der K...

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