Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherung: Rückforderungsanspruch des Versicherers nach einer fehlerhaften Einschätzung der Invalidität; Nachbemessung (§ 11 Nr. 4 AUB 88 und ähnliche Klauseln)

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der Versicherer den Grad der voraussichtlich dauernden Invalidität zu einem Zeitpunkt vor Ablauf von drei Jahren nach dem Unfall festgestellt und entsprechend geleistet und enthalten die Versicherungsbedingungen eine Nachbemessungsregel wie etwa § 11 Nr. 4 AUB 88, so setzt ein Rückforderungsanspruch nach Ablauf von drei Jahren nach dem Unfall nicht nur voraus, dass bei richtiger Beurteilung nach damaligem Erkenntnisstand (ex ante) die damals getroffene Einschätzung zu hoch war. Der Anspruch besteht vielmehr auch nur insoweit, wie sich die damalige Einschätzung nunmehr - bezogen auf den Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall - tatsächlich als zu hoch erweist.

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 08.06.2005; Aktenzeichen 1 O 213/04)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 8.6.2005 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Essen abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Der Beklagte hat bei der Klägerin eine Unfallversicherung genommen, mit welcher auch seine Ehefrau versichert ist. Diese verletzte sich am 24.6.2001 bei einem Unfall die Hand.

Der von der Klägerin beauftragte Chefarzt einer Klinik für Unfallchirurgie, Dr. B, kam am 23.9.2002 zu dem Ergebnis, dass der linke Arm zur Zeit und "evtl. auch dauernd" um 40 % beeinträchtigt sei. Die Klägerin befragte anschließend den Chefarzt einer BG-Unfallklinik, Professor Dr. W. Dieser bezifferte die voraussichtlich dauernde Beeinträchtigung des Arms auf 2/7, also 28,57 %.

Ausgehend davon rechnete die Klägerin unter dem 22.10.2002 ab. Die maßgebliche Grundsumme betrug 127.823 EUR. Da der Beklagte und dessen Ehefrau Ärzte sind, ist in den Besonderen Bedingungen für den Arm, aber auch für die "Hand im Handgelenk" bei Funktionsunfähigkeit ein Invaliditätsgrad von 100 % vereinbart. Außerdem ist eine Progression vereinbart; für jeden Prozentpunkt über 25 werden zwei Prozentpunkte addiert. (Wegen der Einzelheiten der vereinbarten Bedingungen wird auf die zu den Akten gereichten Kopien Bezug genommen.) Die Klägerin zahlte dementsprechend 35,71 % der Grundsumme (25+[3,57 × 3]/100 × 127.823 EUR =) 45.645,59 EUR, und zwar an den Beklagten.

Die Ehefrau des Beklagten meinte, die Beeinträchtigung der Hand betrage tatsächlich nicht nur 28,57 %, sondern 40 %, was einen Anspruch von (25+[15 × 3] =) 70 % der Grundsumme bedeuten würde, und erhob entsprechend Klage vor dem LG Essen (1 O 76/03). Das LG holte ein schriftliches Gutachten des Chirurgen und Chefarztes Professor Dr. E ein; dieser kam unter dem 7.11.2003 zu dem Ergebnis, dass der Arm um 10 % beeinträchtigt sei. Unter dem 21.11.2003 ergänzte er, dass die Hand um 1/9, also 11,11 %, beeinträchtigt sei. Die Ehefrau des Beklagten nahm daraufhin die Klage zurück.

Die Klägerin stellte sich nunmehr auf den Standpunkt, dass nur ein Anspruch i.H.v. 11,12 % der Grundsumme, also 14.213,92 EUR bestanden habe. Sie forderte - und dies ist Gegenstand der vorliegenden Klage - den Differenzbetrag von 31.431,67 EUR nebst Zinsen ab dem 1.8.2004 von dem Beklagten zurück.

Das LG hat Professor Dr. E mündlich als Sachverständigen gehört und der Klage stattgegeben. Wegen der Begründung und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen erster Instanz.

Die Klägerin verteidigt das Urteil. Sie behauptet, dass die Annahme eines Handwertes von 28,57 % bereits im Zeitpunkt der Auszahlungsentscheidung (ex ante) zu hoch gewesen sei. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der (von Professor Dr. E bei seinen erstinstanzlichen Äußerungen noch nicht berücksichtigten) neueren Rechtsprechung des BGH zur Auslegung einer Invaliditätsklausel "Hand im Handgelenk" (vgl. etwa BGH, VersR 2006, 1117).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in dieser Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Der Senat hat den Sachverständigen Professor Dr. E mündlich angehört; dazu wird auf den Berichterstattervermerk vom 27.10.206 Bezug genommen. Er hat anschließend ein weiteres, schriftliches Gutachten des Chirurgen und Chefarztes Professor Dr. R eingeholt; auch auf dieses wird Bezug genommen.

II. Die Berufung ist begründet. Der von der Klägerin geltend gemachte Rückzahlungsanspruch aus § 812 BGB besteht nicht.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob nicht die Klägerin einen Leistu...

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