Leitsatz (amtlich)
1. Höhere Gewalt i.S.d. § 1 Abs. 2 HaftpflG liegt nicht vor, wenn sich infolge der unsachgemäßen Bedienung einer Bahnsicherungsanlage durch einen im Bahnbetrieb angestellten Unternehmer oder eines seiner Angestellten die typische Bahngefahr der Kollision eines Zuges mit einem Pkw realisiert.
2. Der Eisenbahninfrastrukturunternehmer (§ 1 Abs. 1 AEG) muss sich ein Verschulden des Schrankenwärters im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsanteile auch dann betriebsgefahrerhöhend zurechnen lassen, wenn zwischen ihm und dem Schrankenwärter keine rechtliche Sonderverbindung besteht.
3. Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen (§ 1 Abs. 1 AEG) sind als Betriebs- und Haftungseinheit i.S.d. § 1 Abs. 1 HaftpflG anzusehen, mit der Folge, dass sie für von ihnen geschaffene Gefahrenquellen grundsätzlich auch gemeinschaftlich einzustehen haben, ohne dass es darauf ankommt, in wessen Tätigkeitsbereich die eigentliche Unfallursache gesetzt worden ist.
Normenkette
AEG § 1; HaftpflG § 1; StVG § 17
Verfahrensgang
LG Detmold (Urteil vom 02.07.2014; Aktenzeichen 12 O 210/12) |
Tenor
Auf die Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) wird das am 2.7.2014 verkündete Urteil der Zivilkammer II des LG Detmold - unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen - wie folgt abgeändert und neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin, 28.197,20 EUR zu zahlen, die Beklagten zu 1) und 2) nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8.9.2012 und der Beklagte zu 3) nebst Zinsen i.H.v. 4 Prozent auf einen Betrag von 25.915,96 EUR ab dem 8.9.2012 bis zum 10.11.2012 und i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag von 28.197,20 EUR ab dem 11.11.2012.
Die Beklagten zu 1) und 2) werden außerdem verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.005,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.9.2012 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Beklagten 93 %, die Klägerin 7 %. Die für das Berufungsverfahren entstandenen Gerichtskosten, sowie die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten zu 1) und 2) i.H.v. 40 % als Gesamtschuldner und im Übrigen die Beklagte zu 1) alleine. Die für das Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 2) tragen diese jeweils selbst.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten zu 1) und 2) können die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A. Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Unfallereignis an einem Bahnübergang vom 20.6.2012 geltend. Die Klägerin ist Eigentümerin des bei dem Unfall beschädigten Audi Avant 2,7 TDI, den sie dem Zeugen L zur Verfügung gestellt hatte. Die Beklagte zu 1) ist Eigentümerin der Infrastrukturanlagen der Bahnstrecke, auf der sich der Unfall ereignet hat. Die Beklagte zu 2) ist Betreiberin des Bahnbetriebes auf der betroffenen Bahnstrecke. Der Beklagte zu 3) ist Angestellter der Firma B, die aufgrund eines Rahmenvertrages, den die E GmbH im Jahr 2009 - auch im Namen der Beklagten zu 1) - abgeschlossen hatte, für die Bahnübergangssicherung auf entsprechende Anforderung tätig war.
Am 22.6.2012 befuhr der Zeuge L gegen 23:00 Uhr mit dem Audi der Klägerin, und seinen beiden Kindern sowie dem Zeugen X als Insassen die Straße S in D. Er bog von dort nach links in die O Straße ein, um den ca. 150 m von der Einmündung zum S entfernt liegenden schwer einsehbaren Bahnübergang zu queren. Dieser ist durch Andreaskreuz, Lichtzeichenanlage und Schrankenanlage gesichert. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der vom Zeugen L befahrenen Straße ist durch ein vor dem Bahnübergang aufgestelltes Ortsschild von 70 km/h auf 50 km/h reduziert. Der Zeuge war ortskundig, da er unmittelbar in der Nähe zum Bahnübergang eine Sportstätte betreibt.
Der betroffene Bahnübergang wurde zur Unfallzeit wegen eines durch Blitzschlag verursachten Defektes an der automatischen Schrankenanlage durch den Beklagten zu 3) als Schrankenwärter gesichert. Dieser wurde um 22:50 Uhr telefonisch darüber informiert, dass der Zug Nr .... fahrplanmäßig den Bahnhof in M in Fahrtrichtung E verlassen würde und die Schranke entsprechend zu bedienen sei. Tatsächlich hat der Beklagte zu 3) aus Nachlässigkeit sowohl das Einschalten des Warnlichtes als auch das Herunterlassen der Schranke unterlassen, als der Zeuge L mit dem Pkw der Klägerin den Bahnübergang passieren wollte. Der den Zug mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 km/h führende Zeuge M gab bei Annäherung an den Bahnübergang das für Züge typische akustische Wa...