Leitsatz (amtlich)

Die Regeln der Straßenverkehrsordnung sind auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar.

Ein Vertrauensgrundsatz zugunsten des "fließenden Verkehrs" gegenüber dem aus einer Parkbox wartepflichtigen Ausfahrenden besteht nicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn das sich in der Parkgasse befindliche Fahrzeug rückwärts gefahren wird.

Im Falle der Kollision spricht der Anschein für ein Verschulden des Zurücksetzenden auch dann, wenn der Zurücksetzende zum Kollisionszeitpunkt bereits zum Stehen gekommen ist, gleichwohl aber ein enger zeitlicher und räumlicher zusammenhang mit dem Zurücksetzen gegeben ist.

 

Normenkette

StVG § 7; StVO § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 5

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 16.12.2011; Aktenzeichen 3 O 474/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16.12.2011 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Essen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.543,95 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 10.8.2010 zu zahlen.

Die Beklagten werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an die M GmbH, 1.750,- Euro Wertminderung zu zahlen.

Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 54 % und die Beklagten 46 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von den Beklagten Zahlung von Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 16.7.2010 um 11.55 Uhr in N auf dem Parkplatz an der F-Straße ereignete.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, mit dem das LG nach Vernehmung der Zeugen T3 und N2 sowie Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. T der Klage nach einer Haftungsquote von 100 % im Wesentlichen stattgegeben und sie nur der Höhe nach teilweise abgewiesen hat.

Mit der dagegen gerichteten Berufung wenden sich die Beklagten gegen die vom LG zugrunde gelegte Haftungsquote von 100 %. Sie halten eine hälftige Schadensteilung für angemessen. Der Unfall sei für den Fahrer des Pkw der Klägerin weder unabwendbar noch sei sein Verursachungsbeitrag als so gering zu werten, dass er im Rahmen der Haftungsabwägung vollständig zurücktrete. Vielmehr treffe diesen ein erhebliches Mitverschulden an dem Unfall, weil er die gem. § 9 Abs. 5 StVO erforderliche Sorgfalt beim Rückwärtsfahren nicht ausreichend beachtet habe. Dem auf dem Parkplatz geltenden Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme sei er nicht ausreichend nachgekommen. Der Pkw der Beklagten zu 1) habe sich bereits längere Zeit in Rückwärtsfahrt in der Fahrstraße befunden, bevor der Geschäftsführer der Klägerin sein Rückfahrmanöver begonnen habe. Dieser habe den Pkw der Beklagten zu 1) erkennen können und den Ausparkvorgang zurückstellen müssen, bis die Beklagte zu 1) sein Fahrzeug passiert gehabt hätte. Trotzdem habe er sein Fahrzeug plötzlich in die G-Straße zurückgesetzt. Es komme nicht darauf an, dass das Klägerfahrzeug im Zeitpunkt der Kollision bereits gestanden habe. Wie lange dies der Fall gewesen sei, sei ungeklärt. Gleichwohl greife der Anscheinsbeweis zu Lasten des zurücksetzenden Fahrzeugführers ein, wenn ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem Zurücksetzen gegeben sei.

Die Beklagten beantragen, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage hinsichtlich der Zahlung eines Betrages i.H.v. 5.543,94 EUR nebst Zinsen an die Klägerin und hinsichtlich der Zahlung eines Betrages i.H.v. 1.750 EUR an die M GmbH abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit näheren Ausführungen und macht weiterhin geltend, ihr Geschäftsführer, der Fahrer des Pkw Mercedes, habe sofort auf den Pkw der Beklagten zu 1) reagiert. Die Beklagte zu 1), die bereits über einen längeren Zeitraum rückwärts gefahren sei, habe das langsame Herausfahren des Pkw der Klägerin sehen müssen.

II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das LG der Klage nach einer Haftungsquote der Beklagten von 100 % stattgegeben. Die Klage ist lediglich teilweise begründet.

1. Aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls hat die Klägerin gegen die Beklagten lediglich einen Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 S. 1 VVG auf Zahlung von 5.543,95 EUR an sich sowie auf Zahlung von 1.750 EUR an die M GmbH.

a) Unzweifelhaft hat sich der Unfall beim Betrieb der beteiligten Kraftfahrzeuge ereignet. Es kann nicht festgestellt werden, dass es sich bei dem Unfall für einen der beiden Kraftfahrzeugführer um ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG handelte. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. "Idealfahrers" (König in: Hentschel/...

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