Verfahrensgang
AG Bielefeld (Urteil vom 26.07.1994; Aktenzeichen 34 F 1297/92) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 26. Juli 1994 verkündete Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Bielefeld abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die im Mai 1968 geborene Klägerin ist das zweit jüngste von 6 ehelichen Kindern des Beklagten aus dessen vor etwa 10 Jahren geschiedener Ehe. Mit der zunächst als Stufenklage erhobenen Klage hat sie monatlichen Ausbildungsunterhalt von 446,80 DM ab 15. Juli 1992 verlangt. Nach mehreren, jeweils krankheitsbedingt abgebrochenen beruflichen Anläufen habe sie nunmehr eine Ausbildung als Arzthelferin begonnen. Da sie einen eigenen Hausstand führe, habe sie einen Gesamtbedarf von 950/00 DM, den sie von ihrer Ausbildungsvergütung in Höhe von 643,20 DM unter Berücksichtigung ausbildungsbedingter Mehrkosten von monatlich 150/00 DM nur in Höhe von 503/20 DM decken könne. Ihre Mutter sei einkommenslos und daher nicht unterhaltspflichtig. Der Beklagte hält Unterhaltsansprüche für verwirkt, weil die Klägerin ihn unberechtigt des sexuellen Mißbrauchs in der Jugendzeit bezichtige, um ihn unter Druck zu setzen.
Das Amtsgericht hat der Klage nach Einholung eines Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen … in Höhe eines Teilbetrages von 170/00 DM monatlich stattgegeben, weil die Klägerin höhere Ausbildungskosten als 5 % der Ausbildungsvergütung von 643/20 DM nicht dargestellt habe und der danach verbleibende Restbedarf von 338,75 DM nur etwa hälftig vom Beklagten zu decken sei, weil auch die Mutter der Klägerin zum Unterhalt beitragen müsse. Dieser Unterhaltsanspruch sei nicht verwirkt, weil nach überzeugender Feststellung des Sachverständigen die von der Klägerin gegenüber dem Beklagten erhobenen Vorwürfe sexuellen Mißbrauchs auf einer tiefgreifenden neurotischen Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert beruhten und daher nicht schuldhaft seien.
Gegen dieses Urteil richteten sich zunächst wechselseitige Berufungen der Parteien. Die Klägerin hat ihre Berufung, mit der sie zunächst die erstinstanzlichen Anträge verfolgt hat, vor Eintritt in die mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Der Beklagte erstrebt mit seiner Berufung die Abweisung der Klage. Unterhaltsansprüche seien verwirkt, weil sie ihn unberechtigt und schuldhaft des sexuellen Mißbrauchs bezichtige und jetzt auch noch offenbar geworden sei, daß sie während der Gesamtzeit des Klageverfahrens neben der Ausbildungsvergütung noch Ausbildungsbeihilfe des Arbeitsamtes nach § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) bezogen habe, die ihren Unterhaltsbedarf überwiegend abdeckten. Den Vorwurf sexuellen Mißbrauchs habe sie erst nach Eintritt der Volljährigkeit erstmals erhoben, ohne ihn jemals hinreichend konkretisieren zu können. Sie wisse genau was sie tue und sei daher schuldfähig. Die Frage nach der Schuldfähigkeit habe der Sachverständige … nicht beantwortet, danach sei er auch nicht gefragt worden. Hierzu sei zumindest ein neues Gutachten erforderlich, weil mehrere sachverständige Zeugen bekunden könnten, daß die Klägerin genau wußte, was sie tat. Letztlich habe die Klägerin ihren Bedarf nicht belegt. Die vorgelegte Bescheinigung eines Einzelmonats reiche hierfür nicht aus.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihr Vorwurf, der Beklagte habe sie in der Jugend sexuell mißbraucht, sei berechtigt. Ihre psychischen Beschwerden, an denen sie noch heute leide, seien nach Bewertung ihrer Therapeuten typische Folgen dieser Mißbrauchserfahrungen. Die psychische Erkrankung habe ab 19.04.1994 zunächst zu einer krankheitsbedingten Unterbrechung der Ausbildung, in der Folgezeit zu einer weiteren stationären Behandlung und Ende 1994 schließlich zum erneuten völligen Abbruch der Ausbildung geführt, weil sie den Belastungen der Ausbildung nicht gewachsen sei. Ab Januar 1995 sei sie nicht mehr krankgeschrieben, sondern arbeitslos gemeldet.
Ihre Mutter könne zur Bedarfsdeckung nicht beitragen, weil diese ihren schwer pflegebedürftigen und blinden zweiten Ehemann versorgen müsse. Im übrigen erhöhe sich ihr erstinstanzlich auf 950,00 DM bezifferter Gesamtbedarf durch Krankenversicherungskosten von monatlich 61,43 DM. Ferner habe sie während der Ausbildungszeit monatlichen Mehrbedarf von mindestens 150,00 DM für eine Busfahrkarte, Bücher und Bekleidung gehabt. Daneben habe sie hohe Wohnungskosten und eine Kreditrate von monatlich 87,00 DM für einen von ihrem früheren Freund aufgenommenen Sparkassenkredit abzutragen, der noch mit 4.000,00 DM valutieren. Ab Juni 1994 habe sie während der stationären Behandlung in der Klinik für Psychotherapie nur noch Krankengeld von monatlich 578/70 DM bezogen. Die vorher zusätzlich bezogene Ausbildungsbeihilfe des Arbeitsamtes habe sie nicht angegeben, weil ihr nicht klargewesen sei, daß diese...