Entscheidungsstichwort (Thema)
Stromkostennachforderung nach Schätzung
Leitsatz (amtlich)
Beruhen die Energiekostenabrechnungen jeweils auf einer Schätzung, so ist die Nachforderung der tatsächlich geschuldeten Summe auch nach zwei Jahren nicht durch § 21 AVBEltV ausgeschlossen.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 6 O 657/05) |
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über den erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag nebst Zinsen hinaus weitere 1.989,84 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.2.2006 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin versorgt den Beklagten aufgrund eines zwischen den Parteien bestehenden Energielieferungsvertrages mit Strom. Eine Ablesung des Zählerstandes erfolgte im Zeitraum ab dem 10.6.2000 zunächst weder durch die Klägerin noch durch den Beklagten. Die Jahresabrechnungen 2001 und 2002 erstellte die Klägerin daher jeweils aufgrund einer von ihr vorgenommenen Schätzung des Stromverbrauchs, worauf sie in den einzelnen Abrechnungen ausdrücklich hinwies. Im Juli 2003 ließ sie den Zählerstand ablesen, wodurch sich ein Mehrverbrauch ggü. der bis dahin geschätzten und berechneten Energiemenge ergab. Die Klägerin stornierte die bisherigen auf der Schätzung beruhenden Rechnungen und nahm eine Neuberechnung des aufgrund der Ablesung ermittelten tatsächlichen Stromverbrauchs vor. Der Beklagte hat erstinstanzlich einen Betrag von 8.000 EUR aus der ihm gegenüber erhobenen Forderung i.H.v. 9.989,84 EUR anerkannt. Hinsichtlich des darüber hinaus gehenden Betrages hat das LG die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass Nachforderungen für den Zeitraum vom 10.6.2000 bis zum 4.6.2001 nicht erhoben werden könnten. Gemäß § 21 Abs. 2 AVBEltV seien Nachforderungen der Klägerin auf den zurückliegenden Zeitraum von zwei Jahren beschränkt, weil die zu niedrig gegriffene Schätzung des Stromverbrauchs einem Ablesefehler i.S.d. § 21 Abs. 1 AVBEltV gleichzustellen sei. Da die Verbrauchsschätzung, wie sich aus § 20 AVBEltV ergebe, eine Möglichkeit der Berechnung des Stromverbrauchs sei, müssten in diesem Zusammenhang auftretende Schätzfehler wie ein Ablesefehler dem Verantwortungsbereich des Energieversorgers zugeordnet werden. Dies rechtfertige die Anwendung des § 21 Abs. 2 AVBEltV. Mit ihrer Berufung erstrebt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des noch ausstehenden Betrages von 1.989,84 EUR.
II. Die Berufung ist begründet. Auf die Berufung der Klägerin hin war das angefochtene Urteil des LG teilweise abzuändern und der Beklagte über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus zur Zahlung weiterer 1.989,84 EUR nebst Zinsen zu verurteilen.
Der Klägerin steht gem. § 433 Abs. 2 BGB aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Stromlieferungsvertrages ein Anspruch auf Zahlung des der Höhe nach mit 1.989,84 EUR unstreitigen Nachforderungsbetrages zu.
Der Anspruch der Klägerin ist nicht durch die jeweils auf einer Schätzung beruhenden vorangegangenen Abrechnungen ausgeschlossen. Die zunächst fehlerhafte Abrechnung entfaltet keine Bindungswirkung und lässt die Forderung dem Grunde und der Höhe nach unberührt (Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, § 21 AVBEltV Rz. 1 ff.; OLG Saarbrücken BeckRS 2003 30331753).
Die Nachforderung für den Zeitraum vom 10.6.2000 bis 4.6.2001 ist auch nicht im Hinblick auf die Vorschrift des § 21 AVBEltV ausgeschlossen. § 21 Abs. 1 S. 1 AVBElt bestimmt, dass der zu viel oder zu wenig berechnete Betrag zu erstatten oder nachzuentrichten ist, wenn eine Prüfung der Messeinrichtungen eine Überschreitung der Verkehrsfehlergrenzen ergibt oder Fehler in der Ermittlung des Rechnungsbetrages festgestellt werden. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass technische Mängel oder menschliches Versagen bei der Erfassung und Abrechnung der gelieferten Energie auch bei sorgfältiger Kontrolle und Organisation der Verbrauchserfassung und -abrechnung nicht zu vermeiden sind und innerhalb der Zweijahresfrist des Abs. 2 nachberechnet werden können müssen. Die Zweijahresfrist gilt nur für Berechnungsfehler, die auf fehlerhafte Messeinrichtungen, auf Ablesefehler oder auf eine falsche kaufmännische Berechnung des Strompreises zurückzuführen sind. Nicht erfasst werden Fehler bei der Vertragsanwendung und der Vertragsauslegung (BGH NJW-RR 2004, 242). Die von der Klägerin dem Beklagten zunächst erteilten und sodann stornierten Rechnungen basierten nicht auf einer fehlerhaften Messeinrichtung. Die Rechnung krankte auch nicht an einer unzutreffenden kaufmännischen Berechnung des Strompreises, weil hier nicht behauptet wird, dass sich arithmetische Fehler eingeschlichen hätten. Die Rechnung beruht aber auch nicht auf einem Ablesefehler. Denn der Stromverbrauch ist von der Klägerin zunächst geschätzt worden. Ob die Schätzung ihrerseits zulässig gewesen ist, kann entgegen der Ansicht des Beklagten dahin gestellt bleiben. Gemäß § 20 Abs. 1 AVB...