Leitsatz (amtlich)
Ein Frauenarzt haftet auf Schadensersatz, wenn er einer Patientin, bei der in späteren Jahren Brustkrebs diagnostiziert wurde, nicht bereits bei der im Jahre 2008 durchgeführten Krebsvorsorgeuntersuchung zu einem Mammographiescreening geraten hat. Die unterlassene Beratung kann als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein, wenn es der Patientin auf die Minimierung jedweden Brustkrebsrisikos ankam und ihr zudem ein Medikament verordnet wurde, das geeignet war, das Brustkrebsrisiko zu erhöhen.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 18.03.2013; Aktenzeichen 10 F 111/12) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen und unter Zurückweisung der Anschlussberufung - das am 18.3.2013 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Essen abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Schmerzensgeldbetrag von 20.000,- Euro sowie einen Haushaltsführungsschaden i.H.v. 3.300,- Euro zu zahlen, jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinsstz seit dem 3.7.2012.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 957,35 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3.7.2012 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr durch die verspätete Krebsdiagnose entstehen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 10 % und der Beklagte zu 90 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Parteien wird gestattet, die Vollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn sie nicht zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten aufgrund einer fehlerhaften frauenärztlichen Behandlung im Zusammenhang mit einer bei der Klägerin aufgetretenen Brustkrebserkrankung geltend.
Die Klägerin befand sich seit dem Jahr 1985 in regelmäßiger frauenärztlicher Behandlung beim Beklagten. Ab dieser Zeit fanden auch nahezu jährliche Krebsvorsorgeuntersuchungen statt u.a. mit einer klinischen Untersuchung und einer Sonographie der Brust. Seit 1988 wurde bei der Klägerin eine Hormonbehandlung durchgeführt, zunächst mit Femovan, dann mit Marvelon und dann mit Cyclo-Menorette. Seit dem Jahr 1998 wurde die Hormonersatztherapie zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden auf das Medikament Östronara umgestellt. Ab August 2000 stellte der Beklagte die Hormonersatztherapie erneut, diesmal auf das Medikament Liviella, um. Am 5.7.2001 fand eine einmalige Mammographie bei dem Radiologen Dr. O mit unauffälligem Befund statt. Nachdem in den Folgejahren nahezu jährliche Krebsvorsorgeuntersuchungen mit klinischer Untersuchung und Sonographie der Brust stattfanden, wurde auch am 24.7.2008 eine solche Untersuchung mit Abtasten und Sonographie der Brust ohne verdächtigen Befund durch den Beklagten durchgeführt. Die Untersuchung fand auch am 6.8.2009, wiederum ohne verdächtigen Befund, statt. Nachdem auch am 22.7.2010 eine derartige Untersuchung seitens des Beklagten durchgeführt worden war, riet er trotz erneut unverdächtigem Befund der Klägerin zu einer Mammographie. Diese wurde am 7.9.2010 bei dem Radiologen Dr. L durchgeführt und ergab den Verdacht eines Mammakarzinoms der linken Brust. Eine am 8.9.2010 im St. Elisabeth-Hospital E bei Dr. U durchgeführte Stanzbiopsie mit anschließender histologischer Untersuchung ergab die Diagnose eines invasiv-duktalen Karzinoms der linken Mamma. Anlässlich eines stationären Aufenthalts vom 14.9.2010 bis zum 20.9.2010 wurde in der Universitätsklinik F eine Segmentresektion der linken Brust oben außen, eine Sentinel-Lymphknotenentnahme und eine intraoperative Bestrahlung vorgenommen. Anlässlich des stationären Aufenthalts in der gleichen Klinik vom 14.10.2010 bis zum 23.11.2010 wurde u.a. die Restbrust bestrahlt. Ein weiterer stationärer Krankenhausaufenthalt in der Universitätsklinik F fand vom 8.12.2010 bis zum 13.12.2010 statt, in dessen Rahmen u.a. eine komplettierende axilläre Lymphonodektomie mit Feststellung dreier weiterer Lymphknotenmetastasen durchgeführt wurde. Ab dem 10.1.2011 wurde bei der Klägerin - ebenfalls in der Universitätsklinik F - eine Chemotherapie durchgeführt, in deren Rahmen sich u.a. beim zweiten Zyklus beim Anlegen des Ports ein Paravasat bildete, welches anschließend plastisch chirurgisch versorgt werden musste. Den vier Zyklen der Chemotherapie schlossen sich weitere Zyklen mit wöchentlicher Paclitaxel-Gabe sowie eine weitere antihormonelle Therapie mit Aromatasehemmer an.
Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, dass es seitens des Beklagten fehlerh...