Leitsatz (amtlich)
Bei einem auffälligen Tast- und Sonographiebefund ist die Stanzbiopsie die Methode der Wahl zum sicheren Ausschluss einer Krebserkrankung. Mit einer Mammographie kann der Krebsverdacht nicht sicher ausgeräumt werden. Die behandelnde Gynäkologin - als Herrin der Behandlung - muss nachweisen, dass sie der Patientin zur Vornahme der indizierten Stanzbiopsie dringend geraten hat. Die alleinige Empfehlung einer Mammographie genügt nicht den regelrechten Anforderungen.
Normenkette
BGB §§ 253, 280, 823
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das am 6. Oktober 2017 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Kläger 40.000,00 Euro Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. August 2012 zu zahlen.
Die Beklagte zu 1) wird weiter verurteilt, an die Kläger weitere Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.827,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29. August 2012 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Kläger und die Anschlussberufung der Kläger werden zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten der Berufungsinstanz und die außergerichtlichen Kosten der Kläger in der Berufungsinstanz tragen die Kläger zu 64 % und die Beklagte zu 1) zu 36 %.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) in der Berufungsinstanz tragen die Kläger alleine.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) in der Berufungsinstanz tragen zu 27 % die Kläger und zu 73 % die Beklagte zu 1) selbst.
Im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger nehmen die Beklagten zu 1) und 2) gesamtschuldnerisch wegen einer vermeintlich fehlerhaften ärztlichen Behandlung ihrer zwischenzeitlich verstorbenen Mutter Frau C (im Folgenden: die Patientin) auf Schmerzensgeld (mindestens 30.000,00 EUR), Schadensersatz (14.861,61 EUR) sowie Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (2.202,10 EUR) in Anspruch.
Die Beklagte zu 1) ist in eigener Praxis niedergelassene Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Beklagte zu 2) betreibt ein radiologisches Versorgungszentrum. Die Kläger sind Erben ihres am ....2014 verstorbenen Vaters M C und waren gemeinsam mit diesem Erben ihrer am ....2013 verstorbenen Mutter C.
Am 17.03.2009 stellte sich die damals 41 jährige Patientin (geb. am ....1967) ambulant in der Praxis der Beklagten zu 1) wegen anhaltender Beschwerden insbesondere in der rechten Mamma vor. Palpatorisch ergab sich in beiden Brüsten eine schmerzhafte, grobknotige Mastopathie, die das Erheben eines Palpationsbefundes deutlich einschränkte. Gleichwohl ertastete die Beklagte zu 1) in der rechten Mamma neben diversen Knoten bei 6.00 Uhr eine unklare Resistenz. Sonographisch fand sich sodann dort eine Struktur, die bei ausgeprägter fibrozystischer Mastopathie nicht eindeutig zugeordnet werden konnte. Vor diesem Hintergrund überwies die Beklagte zu 1) die Patientin zur Durchführung einer Mammographie zwecks Abklärung des unklaren Tastbefundes an die Beklagte zu 2).
Eine entsprechende digitale Mammographie in zwei Ebenen erfolgte am 24.03.2009 im Haus der Beklagten zu 2). Hierzu wurde dokumentiert, dass sich mittelknotig konflurierende Parenchymstrukturen mit einem Dichtetyp entsprechend ACR-Typ III, keine Herdbefunde sowie rechtsseitig eine Mikrokalzifikation als kleine Liponekrose rechts fanden. Durch die Beklagte zu 2) erfolgte gleichzeitig eine Einstufung des Gesamtbefundes als fibrozystische Mastopathie ohne Malignitätsnachweis und (damit) eine Einstufung nach BI-RADS 1 bei einem ACR-Typ III. Gegenüber der Beklagten zu 1) erfolgte die Empfehlung zur mammographischen Kontrolle in 12 Monaten sowie zur zwischenzeitlichen Palpation und evtl. Sonographie zur Befundkontrolle als sog. IGelleistung.
In der Folgezeit nahmen die Schmerzen in der rechten Brust der Patientin innerhalb weniger Wochen zu. Die Patientin bemerkte daneben eine Vergrößerung der festgestellten festen Struktur. Am 07.05.2009 stellte sie sich deshalb erneut bei der Beklagten zu 1) zur Untersuchung vor. Diese dokumentierte nach erfolgter Palpation, dass sich in der rechten Mamma unverändert bei 6.00 Uhr eine glatte druckdolente verschiebliche Resistenz fand. Gleichzeitig bot sie der Patientin eine erneute Sonographie an, die jedoch nicht mehr durchgeführt wurde. Vielmehr stellte sich die Patientin am 19.05.2009 bei dem Gynäkologen Dr. U vor, der nach Tastuntersuchung die Verdachtsdiagnose einer entzündlichen Erkrankung, einer Mastitis non puerperalis, äußerte.
Am 04.06.2009 ergab sich...