Leitsatz (amtlich)
1. Verlangt ein Unfallversicherer an den Versicherungsnehmer erbrachte Entschädigungsleistungen zurück, muss der Versicherungsnehmer aufgrund der ihn insoweit treffenden sekundären Darlegungslast Umstände darlegen, aus denen er das Behaltendürfen ableitet. Nur das Vorliegen dieser Rechtsgründe muss der Versicherer widerlegen.
2. Das Gericht kann die Überzeugung vom Vorliegen nur vorgetäuschter bzw. absichtlich herbeigeführter Versicherungsfälle (hier: Unfallversicherung) auch darauf stützen, dass eine ungewöhnliche Vielzahl vermeintlicher Unfälle als Bagatellereignisse ohne objektiven medizinischen Verletzungsnachweis vorliegen.
Verfahrensgang
LG Münster (Entscheidung vom 21.09.2010; Aktenzeichen 115 O 79/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21. September 2010 verkündete Urteil der 115. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.901,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2009 zu zahlen.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.064,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2009 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(ohne Tatbestand gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO)
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Ihr steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der an den Beklagten aufgrund des unterhaltenen Unfallversicherungsvertrages erbrachten Versicherungsleistungen in Höhe von (unstreitig) 9.901,41 € sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von (ebenfalls unstreitig) 1.064,81 € - jeweils nebst Zinsen - zu.
I. Der Anspruch auf Rückzahlung erbrachter Versicherungsleistungen ist aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (Leistungskondiktion) begründet.
1. Der Versicherer, der - wie hier die Klägerin - seine Entschädigungsleistung aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zurückverlangt, muss nach allgemeinen Regeln den Vollbeweis dafür erbringen, dass die Zahlung rechtsgrundlos erfolgt ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.2001, IV ZR 237/00, Zitat nach juris, Tz 15 = VersR 2001, 1020; Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch 2. Aufl., § 23 Rn 347ff). Beweiserleichterungen kommen ihm nicht zugute (vgl. Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Vor § 74 Rn 137). Der Bereicherungsschuldner muss aber nach allgemeinen Grundsätzen im Sinne einer, nach den Umständen ggf. gesteigerten (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.2003, II ZR 335/00, Zitat nach juris = NJW-RR 2004, 556), sekundären Behauptungslast die Umstände darlegen, aus denen er ableitet, das Erlangte behalten zu dürfen, wenn der Gläubiger - wie vorliegend die Klägerin - außerhalb des von ihm zu beweisenden Geschehensablaufs steht, während der Schuldner diese Kenntnis hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 18.05.1999, X ZR 158/97, Zitat nach juris = NJW 1999, 2887). Der Gläubiger muss dann nur nachweisen, dass die vom Schuldner vorgebrachten Rechtsgründe nicht bestehen, nicht aber auch, dass andere theoretisch denkbaren Rechtsgründe ausscheiden (vgl. BGH, Urt. v. 27.09.2002, V ZR 98/01, Zitat nach juris = NJW 2003, 1039; zum Ganzen: Palandt/Sprau, BGB 70. Aufl., § 812 Rn 76). Gemessen an diesen Anforderungen ist das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen, die Klägerin sei mit ihrem erstinstanzlichen Vorbringen ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen, habe insbesondere den von ihr geltend gemachten Rückforderungsanspruch nicht substantiiert dargelegt.
Die Klägerin führt zur Begründung ihres Rückforderungsanspruches an, die in Rede stehenden Unfälle seien von dem Beklagten nur vorgetäuscht bzw. absichtlich herbeigeführt worden. Ist dem so, fehlt es am Merkmal der "Unfreiwilligkeit" des Ereignisses im Sinne der Ziffer 1.3 der dem geschlossenen Unfallversicherungsvertrag zugrunde liegenden AL-AUB 2002 und damit an einem Versicherungsfall. Zugleich ist der Versicherer in diesem Fall nach § 61 VVG a.F. leistungsfrei. Zwar wird die Unfreiwilligkeit des (Unfall-)Ereignisses zugunsten des Versicherungsnehmers zunächst vermutet. Dem Versicherer ist es aber unbenommen, diese Vermutung im Wege des Indizienbeweises zu widerlegen. Das Gericht kann dabei im Wege freier Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) Erfahrungssätze und Hilfstatsachen verwerten und so zu der Überzeugung gelangen, die Vermutung der Unfreiwilligkeit sei widerlegt bzw. der Unfall vorsätzlich herbeigeführt. Dies erfordert - wie stets - nur ein solches Maß an Gewissheit, dass sie "restlichen Zweifeln Schweigen gebietet": für die richterliche Überzeugungsbildung ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von persönlicher Gewissheit erforderlich und ausreichend; es braucht keine mathematische Sicherheit vorzuliegen, die jeden möglichen Zweifel und jede denkbare Möglichkeit des Gegenteils ausschließt (vgl. BGH. Urt. v. 23.11.1977, IV ZR 162/76, Zitat nach juris = N...