Leitsatz (amtlich)
Nach einer Gipsschienenbehandlung muss der Hausarzt bei der Nachsorge die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms in Betracht ziehen, falls der Patient hierfür typische Beschwerden schildert. Werden die zielführenden Symptome nicht abgeklärt, kann dies als grober Behandlungsfehler gewertet werden. Für den Verlust des rechten Unterarmes kann bei einem etwa 50jährigen ein Schmerzensgeld von 50.000,- EUR angemessen sein.
Normenkette
BGB §§ 280, 823, 253
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 6 O 336/14) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 13. April 2016 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. November 2014 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte - vorbehaltlich eines Anspruchsüberganges - verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aus der ärztlichen Behandlung ab dem 18. Mai 2012 zu ersetzen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der am 4.12.1963 geborene Kläger hat von der Beklagten wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 50.000,00 EUR für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes und die Feststellung weitergehender Ersatzpflicht begehrt.
Der Beklagte begab sich nach einem Unfall vom 14.5.2012 und einer Erstversorgung am 15.5.2012 erstmals am 18.5.2012 - einem Freitag- in die beklagte Gemeinschaftspraxis. Dort wurde er von dem Mitgesellschafter Dr. Y behandelt. Weitere Behandlungstermine waren der 21.5.2012 und der 24.5.2012. Eine zumindest telefonische Kontaktaufnahme fand am 22.5.2012 statt. Anlässlich des letzten Behandlungstermins wurde der Kläger an einen niedergelassenen Chirurgen Dr. W3 überwiesen. Die Weiterbehandlung erfolgt dann im Klinikum C. Bei dem Kläger fand sich ein Kompartmentsyndrom. Dies führte zu einer umfangreichen Behandlung. Letztlich musste dem Kläger der rechte Unterarm amputiert werden.
Die Parteien haben erstinstanzlich darüber gestritten, ob Dr. Y an einem der genannten Termine behandlungsfehlerhaft erkennbar notwendige Befundungen in Richtung auf das Kompartmentsyndrom unterlassen habe. Die Parteien haben insbesondere darüber gestritten, ob der Bewertung nur die ursprünglichen Krankenunterlagen zugrundezulegen sein, oder auch ein im Jahr 2014 durch Dr. Y erstelltes ergänzendes Protokoll.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachverhalts verweise ich auf das angefochtene Urteil.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme durch uneidliche Vernehmung der Zeugin L (früher T) sowie nach schriftlicher und mündlicher Begutachtung durch den Internisten und Allgemeinmediziner Dr. C abgewiesen.
Behandlungsfehler ließen sich nicht feststellen, obwohl die ursprüngliche Krankendokumentation solche indiziere. Denn zu berücksichtigen sei auch das ergänzende Protokoll des Dr. Y sowie seine glaubhaften Angaben bei der mündlichen Anhörung. Bei einer Gesamtwürdigung sei dann von einer hinreichenden Untersuchung des Klägers am 18.05.2012 auszugehen. Dafür spreche die Verordnung von Tilidin, die nicht ohne entsprechende Untersuchung zu erwarten sei. Auch die Darstellung des Dr. Y dem Geschehen am 21.05.2012 und 22.05.2012 erscheine schlüssig, während die Behauptungen des Klägers teils nicht nachvollziehbar - angebliche Schmerzverstärkung nach dem 21.05.2012 - und teilweise nicht belegt sei - Kontakt zu Dr. Y am 22.05.2012 -.
Auf der Basis des ergänzenden Protokolls und der Angaben des Dr. Y seien Behandlungsfehler nicht festzustellen.
Bestätigt werde das Ergebnis auch dadurch, dass der im Strafverfahren tätig gewordene Gutachter Dr. W ebenfalls Behandlungsfehler oder Versäumnisse verneint habe.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der das erstinstanzliche Begehren weiter verfolgt.
Er greift die Beweiswürdigung durch das Landgericht an. Das erst im Jahr 2014 geschaffene ergänzende Protokoll sei den Tatsachenfeststellungen nicht zugrundezulegen. Die Urkunde sei erst im Laufe des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens gefertigt worden. Es sei unglaubhaft, dass sich Dr. Y der Anfertigung noch an das ca. 2 Jahre zurückliegende Geschehen habe erinnern können. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die ergänzenden Angaben nicht schon unmittelbar im Rahmen der Behandlung dokumentiert worden seien. Die Erklärung, dass seinerzeit der Arbeitsplatzrechner des Dr. Y schon heruntergefahren war, überzeuge nicht. Die Angaben des Dr. Y vor dem Landgericht beruhten nicht auf seiner Erinnerung, sondern auf dem ergänzenden Protokoll. Es sei nicht verwunderlich, dass Aussag...