Leitsatz (amtlich)
1. Eine Aktiengesellschaft wird im Rechtsstreit mit der Witwe eines früheren Vorstandsmitglieds durch den Aufsichtsrat vertreten, wenn die klagende Witwe Ansprüche aus einer von der Gesellschaft gewährten Versorgungszusage verfolgt. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn die Gesellschaft erst nach Beendigung der Amtstätigkeit des Ehemanns der Klägerin von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde.
2. Die Regelung in einer Leistungsordnung über Versorgungsleistungen, wonach eine Witwen-/Witwerversorgung ausgeschlossen ist, wenn die Ehe erst während des Ruhegeldbezugs geschlossen wurde ("Spätehenklausel"), ist nicht nach § 7 Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG unwirksam und hält einer Überprüfung nach den Maßstäben der §§ 307 ff BGB stand.
3. zur Frage, wann die Entscheidung über das Eingreifen einer in der Leistungsordnung vorgesehenen Härteklausel unbillig i.S.d. § 315 BGB ist
Normenkette
AGG § 3 Abs. 1-2, § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 2; AktG § 112; BGB § 305 Abs. 1, § 307 Abs. 1, § 315; ZPO § 51 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 6 O 59/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18.06.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund beider Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A. Die Parteien streiten um die Zahlung von Hinterbliebenenbezügen aufgrund einer Versorgungszusage an den am 00.00.2019 verstorbenen Ehemann der Klägerin.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des Metallgewerbes. Die Klägerin ist die Witwe des Herrn A. Er war langjähriges Vorstandsmitglied bzw. Geschäftsführer der Rechtvorgängerin der Beklagten, der C. B GmbH. Zuletzt waren die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Herr A durch einen Dienstvertrag vom 07.04.1988 verbunden, nach dem Herr A beginnend mit dem 00.03.1988 zum "Mitglied des Vorstandes" der C. B GmbH bestellt war. Faktisch war er Geschäftsführer der Gesellschaft und als solcher im Handelsregister eingetragen. Herr A erhielt mit Abschluss des Dienstvertrages vom 07.04.1988 von der C. B GmbH Versorgungszusagen für sich und seine Hinterbliebenen, die in einer Anlage zum Dienstvertrag vom 07.04.1988 verschriftlicht sind. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage zum Schriftsatz vom 10.05.2021 (Bl. 191 bis 192 d.A.).
Das Dienstverhältnis war von besonderem Vertrauen geprägt, denn der Ehemann der Klägerin übernahm regelmäßig - teilweise riskante - Sonderaufgaben von erheblicher Bedeutung für die Rechtsvorgängerin der Beklagten, in deren Folge er u.a. jahrelang unter polizeilichem Schutz stand.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten regelte etwaige Zahlungsverpflichtungen im Hinblick auf verschiedene Versorgungen in einer "Leistungsordnung des Zes" vom 09.01.1986 (Anlage K2).
In § 4 der Leistungsordnung heißt es wie folgt:
"(1) Beim Tode eines Angestellten erhalten
a) die Witwe oder der Witwer ein Witwen-/Witwergeld von 60 v.H. des Ruhegeldes nach § 3, wenn der Verstorbene den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat.
(...)
(5) War der Angestellte bei der Eheschließung 60 oder mehr Jahre alt oder mehr als 25 Jahre älter als sein Ehegatte oder war die Ehe nur geschlossen worden, um dem Ehegatten die Leistungen zuzuwenden, kommt ein Witwen-/Witwergeld nicht in Betracht. Das gleiche gilt für Ehegatten aus Ehen, die während des Ruhegeldbezuges geschlossen worden sind; (...)"
§ 7 der Leistungsordnung enthält "Regelungen in begründeten Ausnahmefällen":
"(1) In Ausnahmefällen kann beim Ausscheiden des Angestellten aus dem Dienst Ruhegeld ganz oder teilweise gewährt werden, ohne daß die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 vorliegen.
(...)
(3) Von der Versagung des Witwen-/Witwergeldes nach § 4 Abs. 5 kann in Ausnahmefällen ganz oder teilweise abgesehen werden.
(...)"
Der Ehemann der Klägerin schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 04.12.1991 auf der Basis eines Entwurfs vom 07.10.1991 (Anlage K3) eine Vereinbarung, nach der er sein Amt als Mitglied des Vorstandes der C. B GmbH mit Wirkung zum 31.12.1991 niederlegte und sein Dienstvertrag vorzeitig zu diesem Zeitpunkt endete. Zu diesem Zeitpunkt war Herr A noch in erster Ehe verheiratet. Die Vereinbarung enthielt in Ziffer 3 u.a. die folgenden Regelungen:
"Ruhegeld und Hinterbliebenenbezüge des Zes nach den Versorgungszusagen des genannten Dienstvertrages sind nicht zu zahlen, solange Herr A im Vorstand der D AG tätig ist oder dem Vorstand einer anderen Gesellschaft mit Jahresbezügen angehört, die den Jahresbezügen bei der D AG zumindest entsprechen.
Die Z-Leistungen nach den vertraglichen Versorgungszusagen vom 7.4.1988 in Höhe von 150 % der Gruppe R zuzüglich 50 % Wohnungsgeld beginnen nach dem Ausscheiden von A aus dem aktiven Dienst.
Im...