Leitsatz (amtlich)
Allein in einer (versuchten) Erschleichung der Wiedereinsetzung kann eine (versuchte) Steuerhinterziehung nicht gesehen werden.
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe
I.
Dem Angeklagten wird im vorliegenden Verfahren zur Last gelegt, durch die Angabe unrichtiger Tatsachen in einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zum Zwecke der Zulassung einer verspäteten Klage gegenüber der Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht und dadurch versucht zu haben, Umsatzsteuer in Höhe von 215.175,00 DM zu verkürzen. Das Amtsgericht hat nach umfangreicher Beweisaufnahme eine versuchte Fristerschleichung des Angeklagten für bewiesen erachtet und sein Verhalten als versuchte Steuerhinterziehung gewertet, ohne festgestellt zu haben, ob nach Vorstellung des Angeklagten die Umsatzsteuerschuld in Höhe von 215.175,00 DM bestand. Es hat bereits eine versuchte Hinterziehung der Steuer in der versuchten Beseitigung der Bestandskraft des Umsatzsteuerbescheides gesehen. Auf die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Ferner hat es die auf den Strafausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass die "Fristerschleichung" allein keine Steuerhinterziehung darstelle. Es komme vielmehr darauf an, ob der materielle Steueranspruch des Staates betroffen sei. Dass der Angeklagte davon ausgegangen sei, dass die Steuer zutreffend festgesetzt worden sei, könne nicht festgestellt werden.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft Münster mit ihre fristgerecht eingelegten und begründeten Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision beigetreten.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass allein in einer (versuchten) Erschleichung der Wiedereinsetzung eine (versuchte) Steuerhinterziehung nicht gesehen werden kann. Maßgeblich ist vielmehr, ob dadurch der materielle Steueranspruch des Staates beeinträchtigt wird. Es entspricht einhelliger Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass die Frage, ob eine Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 AO vorliegt, nach den materiellen Steuergesetzen zu beantworten ist (vgl. Lessinger in Kühn/Wedelstätt AO und FGO 18. Aufl., § 370 Rdnr. 23 und Rdn. 24; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., § 23 Rdnr. 22, Kohlmann, Steuerstrafrecht 37. Lieferung § 370 Rdnr. 472; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 170. Ergänzungslieferung § 370 Rn 36; BGH wistra 1983, 114; wistra 1987, 139; NJW 1987, 1273, 1275; NStZ 1995, 93). Voraussetzung ist daher, dass ein Steueranspruch nach den materiell-rechtlichen Vorschriften besteht (vgl. Lessinger in Kühn a.a.O.). So stellt es auch keine Steuerhinterziehung dar, wenn ein Steuerberater unter Vorlage gefälschter Belege einen nicht bestehenden Steueranspruch des Finanzamtes zu Fall bringen will (vgl. BGH wistra 1983, 114).
Zwar kann in der Erschleichung von Wiedereinsetzung eine Steuerverkürzung gesehen werden (so Joecks in Franzen u.a., Steuerstrafrecht 6. Aufl., § 370 Rdnr. 101 und Kohlmann a.a.O. § 370 Rdnr. 250). Erforderlich ist dann jedoch weiter, dass dadurch die Beitreibung eines materiell bestehenden Steueranspruchs erschwert oder vereitelt wird (vgl. Rolletschke in Rolletschke u.a. Steuerverfehlungen, 87. Aktualisierung Juli 2008, § 370 Rdnr. 117 a; derselbe in PStR 2006, 163 ff.; Weyand, PStR 2007, 134 ff.).
Dass es allein auf den materiell-rechtlichen Anspruch ankommt, ergibt sich auch daraus, dass der Strafrichter bei der Beurteilung, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, jeweils selbst feststellen muss, in welcher Höhe Steuerbeträge verkürzt worden sind. Es besteht keine Bindung an etwaige rechtskräftige Entscheidungen der Finanzbehörden oder Finanzgerichte (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Anm. 472).
So verhält es sich im Übrigen auch im Rahmen des § 263 StGB. Auch hier stellt allein der falsche Sachvortrag im Prozess keinen Betrug bzw. Betrugsversuch dar. Vielmehr ist auch hier jeweils darauf abzustellen, ob der Anspruch aus materiellen Gründen besteht oder nicht (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 263 Rdnr. 61 a und Rdnr. 111 mit einer Vielzahl von Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung).
Dass der Angeklagte davon ausgegangen ist, dass der festgesetzte Steueranspruch tatsächlich bestand, wird ihm im vorliegenden Verfahren nicht vorgeworfen. Das Finanzamt für Steuerstrafsachen, Steuerfahndung Münster, hat in ihrer Stellungnahme zur Revisionsbegründung vom 23.06.2008 im Übrigen selbst ausgeführt, dass der Angeklagte glaubte, dass der Erstattungsanspruch bestehe (vgl. Bl. 27 der Stellungnahme = 588 d.A.).
Mit...