Leitsatz (amtlich)
1. Für eine konventionswidrige vollzogene Sicherungsverwahrung beträgt die gem. Art. 5 Abs. 5 EMRK zu gewährende angemessene Entschädigung regelmäßig rund 500 EUR pro Monat. Die Regelung in § 7 Abs. 3 StrEG ist nicht entsprechend anwendbar.
2. Eine zur Erledigung eines wegen der konventionswidrig vollzogenen Sicherungsverwahrung gem. Art. 34 EMRK beim EGMR anhängig gewesenen Individualbeschwerdeverfahrens vom Bund gezahlte Entschädigung ist auf die vom Land gem. Art. 5 Abs. 5 EMRK geschuldete Entschädigung anzurechnen.
Normenkette
EMRK Art. 5, 34, 41; StrEG § 7 Abs. 3; BGB §§ 421-423
Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 18.06.2013; Aktenzeichen 25 O 332/11) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 18.6.2013 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Dortmund wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das vorgenannte Urteil teilweise abgeändert.
Das beklagte Land bleibt verurteilt, an den Kläger 16.665 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.1.2013 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung des beklagten Landes wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 34 % und das beklagte Land zu 66 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 62 % und das beklagte Land zu 38 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger und das beklagte Land dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung nicht Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu voll- streckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von dem beklagten Land Zahlung einer Geldentschädigung wegen einer vollzogenen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung in der Zeit vom 22.5.2006 bis zum 28.2.2011.
Hinsichtlich des wechselseitigen Vortrags und der gestellten Anträge aus der 1. Instanz wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
Das LG hat dem Kläger eine Entschädigung i.H.v. 28.665 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.1.2013 zugesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf diese Entschädigungssumme aus Art. 5 Abs. 5 EMRK zu, da in der gegen ihn nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung und in dem Vollzug derselben ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK zu sehen sei. Die Sicherungsverwahrung stelle eine Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 EMRK dar. Die Rechtfertigungsgründe aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 EMRK seien demgegenüber nicht erfüllt.
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung stelle insbesondere keine rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht i.S.v. Art. 5 Abs. 1 S. 2a EMRK dar. Das Urteil des LG Duisburg vom 15.5.2006, durch welches die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet worden sei, genüge den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 S. 2a EMRK nicht, da die Entscheidung ohne Schuldfeststellung erfolgt sei und zwischen der ursprünglichen Verurteilung vom 19.9.2001 und der Fortdauer der Freiheitsentziehung aufgrund der nachträglichen Sicherungsverwahrung kein hinreichender Kausalzusammenhang mehr bestanden habe. Die Sicherungsverwahrung sei allein aufgrund des neu eingeführten § 66b StGB a.F. erfolgt. Dieser habe vorgesehen, dass für den Fall, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt worden sei, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruht habe, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht mehr bestanden habe, das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen könne, wenn die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Maßregel ergebe, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Bei dem Kläger habe jedoch sowohl der Zeitpunkt der Tatbegehung, als auch der Zeitpunkt der Ausgangsverurteilung vor der Einführung des § 66b StGB a.F. gelegen, so dass der Kläger zum 21.5.2006 hätte entlassen werden müssen.
Es liege auch kein Rechtfertigungsgrund nach Art. 5 Abs. 1 S. 2c EMRK vor, weil potentielle künftige Straftaten, die hinsichtlich ihres Ortes und der Zeit ihrer Begehung nicht hinreichend bestimmt seien, nicht unter den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen würden.
Darüber hinaus liege auch ein Rechtfertigungsgrund nach Art. 5 Abs. 1 S. 2e EMRK nicht vor. Es sei nicht hinreichend dargelegt, dass die von dem BVerfG festgelegten engen Ausnahmevoraussetzungen, wonach eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten vorliegen und der Sicherungsverwahrte an einer psychischen Störung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leiden müsse, bei dem Kläger in dem maßgeblichen Zeitraum seiner Sic...