Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung Tarifvertragskunde - Sondervertragskunde in Vertragsverhältnissen mit Gasversorgungsunternehmen.
Normenkette
AVBGasV §§ 1, 4
Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 10.06.2009; Aktenzeichen 8 O 272/07) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 10.6.2009 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Dortmund wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Durch das angefochtene Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt, hat das LG der Beklagten für das Jahr 2005 das Recht zur einseitigen Erhöhung des Gaspreises gegenüber dem Kläger zugebilligt.
Er rügt mit der dagegen gerichteten Berufung mit näheren Ausführungen, dass er abweichend von der Ansicht des LG nicht als Tarifkunde der Beklagten, sondern als Sondervertragskunde einzuordnen sei. Mangels Vereinbarung habe der Beklagten deshalb kein Recht zugestanden, den Preis für die streitgegenständlichen leitungsgebundenen Gaslieferungen an den Kläger einseitig um jeweils netto 0,4 cent/kWh zum 1.1.2005 und zum 1.10.2005 zu erhöhen.
Der Kläger beantragt, abändernd festzustellen, dass die von der Beklagten in dem zwischen den Parteien bestehenden Gaslieferungsvertrag zum 1.1.2005 und 1.10.2005 vorgenommenen Gaspreiserhöhungen unwirksam sind.
Die Beklagte beantragt, die Berufung als unzulässig, zumindest als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält eine hinreichende Berufungsbeschwer für nicht gegeben und verteidigt in der Sache das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen zu Protokoll Bezug genommen.
II.1. Die Berufung ist zulässig.
Die Berufungsbeschwer (§ 511 II Nr. 1 ZPO) ist gewahrt, weil der Kläger gemäß Streitwertfestsetzungsbeschluss des Senats vom 1.10.2010 (Bl. 406 d.A.) um mehr als 600 EUR beschwert ist. Dabei ist entsprechend § 9 ZPO der dreieinhalbfache Jahresbetrag der Erhöhungsbeträge zugrunde zu legen, wie der BGH im vorliegenden Fall gemäß Beschluss vom 27.4.2010 (Beiakte VIII ZB 91/09, Bl. 27) bestätigt hat. Die dagegen erhobenen Bedenken der Beklagten greifen daher nicht durch. Die beiden Preiserhöhungen in 2005 sind auch nicht als Neufestsetzungen des gesamten Lieferentgelts einzuordnen; es geht allein um die Berechtigung der einseitigen Erhöhungsbeträge, die sich allerdings entsprechend wiederkehrenden Leistungen auch in der Folgezeit in den weiteren Preisbestimmungen fortsetzen.
2. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Die negative Feststellungsklage war als unbegründet abzuweisen, weil der Beklagten das einseitige Recht zu den Preiserhöhungen in 2005 zugestanden hat.
Dem LG ist darin beizupflichten, dass sie sich auf das nach § 1 I 2 AVBGasV in einen Tarifkundenvertrag automatisch einbezogene gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 I, II AVBGasV berufen kann. Mit der nachfolgend angeführten Rechtsprechung des BGH ist entgegen der Ansicht des Klägers auch von der Verfassungsgemäßheit dieser Bestimmung auszugehen.
Gegenstand der AVBGasV ist nach deren § 1 I die Versorgung von Tarifkunden (§ 1 II AVBGasV) zu den in den §§ 2 bis 34 AVBGasV geregelten allgemeinen Bedingungen, zu denen Gasversorgungsunternehmen im Rahmen ihrer allgemeinen Anschluss- und Versorgungspflicht bzw. ihrer Grundversorgungspflicht jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen und zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen haben, wobei die allgemeinen Bedingungen zugleich kraft Gesetzes Bestandteil des Versorgungsvertrages werden. Auf Sonderkundenverträge, die das Versorgungsunternehmen im Rahmen der Vertragsfreiheit abschließt, finden die Bestimmungen der AVBGasV dagegen nur Anwendung, wenn und soweit sie rechtsgeschäftlich wirksam in den Vertrag einbezogen worden sind. Für die Beurteilung, ob es sich bei öffentlich bekannt gemachten Vertragsmustern und Preisen um Tarif- bzw. Grundversorgungsverträge oder um Sonderkundenverträge handelt, kommt es deshalb darauf an, ob das betreffende Versorgungsunternehmen die Versorgung zu allgemeinen Tarifpreisen (§ 6 Abs. 1 EnWiG 1935), Allgemeinen Tarifen (§ 10 Abs. 1 EnWG 1998) oder Allgemeinen Preisen (§ 36 Abs. 1 EnWG 2005) im Rahmen einer Versorgungspflicht oder unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit anbietet. Die Abgrenzung hat hierbei nach den §§ 133, 157 BGB durch Auslegung der ausdrücklich oder konkludent abgegebenen Vertragserklärungen aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers zu erfolgen. Danach kann ein Gasversorgungsunternehmen sich auf das nach § 1 I 2 AVBGasV in einen Tarifkundenvertrag automatisch einbezogene gesetzliche Preisänderungsrecht gem. § 4 AVBGasV nicht unmittelbar stützen, wenn es mit dem Kunden aus dessen Sicht einen Sonderkundenvertrag zu Sondertarifen im Rahmen der ...