Leitsatz (amtlich)
Mit der stationären Aufnahme einer Patientin übernimmt die Klinik auch eine Obhut- und Schutzpflicht, um die Patientin vor zumutbaren Gefahren und Schäden zu schützen.
Besteht bei einem Patienten eine Hin- und Weglauftendenz, kann eine Sicherung der Fenster geboten sein.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 12.01.2017; Aktenzeichen 5 O 22/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 12.1. verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Arnsberg abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 93.309,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 25.525,58 EUR seit dem 10.5.2011 und im Übrigen seit dem 6.3.2014 zu zahlen sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.736,12 EUR seit dem 18.1.2017.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Klägerin hat als private Krankenversicherung der am ... 1929 geborenen und am 12.03.2011 verstorbenen Frau L (im Folgenden: Patientin) von der Beklagten als Trägerin des St. G-Hospitals X in der Hauptsache den Ersatz von Kosten begehrt, die sie für die Klägerin aufgewendet hat.
Die Patientin wurde am 24.1.2011 wegen eines Schwächeanfalls mit mehrfachem Übergeben in das St. G-Hospital stationär eingewiesen. Die demente Patientin war seit dem Aufnahmetag sehr aggressiv, sehr unruhig, verwirrt und desorientiert. Darüber hinaus zeigte sie Hin-und Weglauftendenzen und wollte die Station verlassen. Die Gabe der Medikamente Melperon und Haldol führte nicht zu einer hinreichenden Beruhigung. Am 27.1.2011 verstellten die diensthabenden Krankenschwestern die sich nach innen öffnende Tür des Krankenzimmers von außen mit einem Krankenbett, um die Patientin am Weglaufen zu hindern. Wegen des weiterhin stark unruhigen Zustandes erhielt die Patientin zusätzlich die Gabe von 20 ml Melperon. Gegen 23:00 Uhr kletterte die Patientin unbemerkt aus dem Zimmerfenster, stürzte auf ein mehrere Meter tiefer liegendes Vordach und erlitt erhebliche Verletzungen in Form eines traumatischen Hämatopneumothorax, einer Rippenserienfraktur, einer Lendenwirbelkörper 1-Fraktur, eine instabile Beckenringfraktur links und eine Oberschenkelfraktur links.
Die Verletzungen wurden im Universitätsklinikum N operativ versorgt. Sodann wurde die Patientin in die Klinik C verlegt. Sie verstarb am 12.3.2011 im Pflegeheim in C1.
Die Klägerin hat von der Beklagten in der Hauptsache den Ersatz der unfallbedingten Behandlungs- sowie Heil-und Hilfsmittelkosten in Höhe von insgesamt 91.581,93 EUR sowie den Ersatz des unfallbedingt gezahlten Krankenhaustagegeldes in Höhe von 1.728,00 EUR begehrt.
Die Parteien haben erstinstanzlich darüber gestritten, ob die Medikation unzureichend gewesen sei, ferner, ob die Mitarbeiter der Beklagten die Patientin durch das Verstellen der Zimmertür zum Hinausklettern aus dem Fenster provoziert haben.
Das LG hat die Klage nach sachverständiger internistischer Begutachtung durch Prof. Dr. O abgewiesen.
Ein Fehler bei der Medikation lasse sich nicht feststellen. Das Verstellen der Zimmertür sei angesichts der schwierigen Pflegesituation ebenfalls nicht zu beanstanden und habe das Personal in die Lage versetzt, eine Weglaufabsicht der Patientin rechtzeitig zu erkennen. Mit einer Flucht durch das Fenster sei nicht zu rechnen gewesen. Es sei nicht fehlerhaft gewesen, dass das Krankenhaus der Beklagten die Behandlung überhaupt übernommen habe. Es habe sich um eine Erkrankung aus dem internistischen Fachgebiet gehandelt, deren Behandlung üblicherweise auch bei älteren und dementen Patienten in der internistischen Abteilung durchgeführt werde. Eine Fixierung der Patientin sei vor dem Hintergrund der zu erwartenden Aktionen der Patientin nicht zu fordern gewesen, zumal sie sich gefahrlos in den Tagen zuvor bereits ohne Fixierung in der internistischen Abteilung gefunden habe. Auch seien die Voraussetzungen für eine Fixierung ohne vormundschaftliche Genehmigung nicht gegeben gewesen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die das erstinstanzliche Begehren weiter verfolgt.
Sie verbleibt dabei, dass eine Umstellung der Medikation hätte erfolgen müssen, weil die verabreichten Medikamente nicht angeschlagen hätten. Auch die Sicherungsmaßnahmen seien unzureichend gewesen. Durch das vor die Zimmertür geschobenen Bett sei die Patientin gehindert gewesen, das Zimmer zu verlassen. Aufgrund ihres Zustandes habe sich die Patientin deshalb veranlasst gesehen, das Zimmer durch das Fenster zu verlassen. Insoweit sei der Beklagten auch vorzuwerfen, dass der Fenstergriff nicht abschließbar gewesen und dadurch das Verhalten der Patientin erst möglich gemacht worden sei. Überdies sei die Patientin fehl...