Leitsatz (amtlich)

1. Vor einer intraartikulären Injektion in das Sprungelenk hat der Orthopäde den Patienten auch über das Risiko einer Gelenkinfektion mit der möglichen Folge einer Gelenkversteifung aufzuklären.

2. Entsteht daraufhin eine Gelenkinfektion, kann es als medizinisch grober Behandlungsfehler zu werten sein, wenn die weiterbehandelnden Klinikärzte den CRP-Wert des Patienten nicht mehr messen und die Gefahr, dass das Sprunggelenk irreversibel geschädigt wird, nicht aktiv ausschließen.

3. Zum Gesamtschuldnerausgleich zwischen Orthopäden und Klinikum.

 

Verfahrensgang

LG Münster (Urteil vom 13.11.2003; Aktenzeichen 11 O 1029/03)

 

Tenor

Auf die Berufungen der Parteien wird das am 13.11.2003 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Münster - unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen - teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 21.008,27 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.4.2003 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, die Ärzte Dr. med. B.G., ... Münster, sowie Dr. med. H.W., ... Gronau, von Ansprüchen der IKK Westfalen-Lippe i.H.v. 1/2 freizustellen, soweit diese Ansprüche die Behandlungskosten der Frau H.R. aus der Behandlung vom 11.10.1996 betreffen.

Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten beider Rechtszüge tragen die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beide Parteien können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Seite zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer der Orthopäden Dr. W. und Dr. G. Dr. G. war 1996 als Weiterbildungsassistent von Dr. W. tätig. Die am 27.4.1934 geborene Patientin H.R. litt an Beschwerden im linken Bein. Dr. G. stach der Patientin am 11.10.1996 bei einer Punktion zur Vorbereitung einer Kortikoid-Injektion mit einer Einmalspritze in das linke Sprunggelenk. Da die Aspiration blutig verlief, unterblieb die Applikation des Medikamentes. Dr. G. hatte die Patientin zuvor über das Risiko einer Gelenkinfektion aufgeklärt, nicht aber darüber, dass eine Infektion zu einer Gelenkversteifung führen könne.

Am 14.10.1996 überwies Dr. W. die Patientin mit der Verdachtsdiagnose auf tiefe Beinvenenthrombose des linken Unterschenkels in die Klinik der Beklagten. Die Patientin wurde dort zunächst in der internistischen Klinik aufgenommen. Am 21.10.1996 wurde die Patientin wegen einer sich ausbreitenden Entzündung im linken Fußgelenk von der internistischen in die chirurgische Klinik der Beklagten verlegt. Die Patientin wurde zunächst konservativ behandelt. Am 21.10.1996 betrug der CRP-Wert der Patientin 343 mg/l. Am 25.10.1996 belief er sich auf 292 mg/l, am 28.10.1996 auf 261 mg/l. Nach dem 28.10.1996 kontrollierten die Ärzte der Beklagten den CRP-Wert nicht mehr. Am 13.11.1996 wurde ein Debridement vorgenommen. Wegen der Einzelheiten des Operationsberichts vom 13.11.1996 wird auf S. 4 der Original-Behandlungsunterlagen der chirurgischen Klinik der Beklagten Bezug genommen. Am 13.12.1996 wurde die Patientin aus der stationären Behandlung entlassen.

Die Patientin zog sich einen irreversiblen Gelenkschaden des linken Sprunggelenks zu. Später wurde ein Arthrodese vorgenommen. Im Vorprozess 11 O 1002/01 - LG Münster - hat die Patientin die Orthopäden Dr. W. und Dr. G. sowie die Beklagte auf Schmerzensgeld und Feststellung in Anspruch genommen. Die Ärzte Dr. W. und Dr. G. verpflichteten sich durch Prozessvergleich vom 21.2.2002 an die Patientin 40.000 Euro als Gesamtabfindung zu zahlen. Die Beklagte beteiligte sich nicht an dem Vergleich.

Der Krankenversicherer der Patientin, die IKK Westfalen-Lippe, macht gegen die Klägerin Ersatzansprüche i.H.v. rund 72.000 Euro für Heilbehandlungskosten geltend.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs nunmehr Erstattung der gesamten Abfindungssumme sowie von weiteren 3.086,47 Euro, die sie der Patientin als Prozesskosten des Vorprozesses gezahlt hat, ferner Freistellung von der gesamten Forderung der IKK sowie von etwaigen Ansprüchen anderer Sozialleistungsträger und sonstiger Dritter.

Das LG hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens nebst mündlicher Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Müller ein Aufklärungsversäumnis auf Seiten der Orthopäden Dr. G. und Dr. W. und eine Nichterhebung elementarer Kontrollbefunde ab dem 28.10.1996 auf Seiten der Beklagten angenommen. Auf der Grundlage einer Haftungsquote von 1/3 zu Lasten der Klägerin und zu 2/3 zu Lasten der Beklagten hat das LG die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 28.724,31 Euro nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen. Ferner hat das LG die Beklagte verurteilt, die Ärzte Dr. G. und Dr. W. von Ansprüchen der IKK betreffend Behandlungskosten der Patientin R. i.H.v. 2/3 freizustellen sowie die Beklagte verpflichtet, der Klägerin 2/3 der weiteren Aufwendungen ...

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