Leitsatz (amtlich)
Es stellt einen sog. Befunderhebungsfehler dar, wenn vor einer Operation (Hüftimplantation) eine Blutgerinnungsstörung nicht abgeklärt wird, obwohl die anamnestischen Angaben und die pathologischen Blutwerte hierzu Veranlassung geben.
Wird eine Blutungsstörung präoperativ nicht behandelt, ist das ein grober Behandlungsfehler, weil dies aus objektiver Sicht nicht verständlich ist und einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Zugunsten der Patientin greift dann eine Beweislastumkehr. Der behandelnde Arzt trägt die Beweislast dafür, dass der Schaden auch bei einer zweckmäßigen Alternativbehandlung - präoperative Befunderhebung und Gerinnungstherapie - eingetreten wäre.
Normenkette
SGB X § 116; BGB §§ 280, 823
Verfahrensgang
LG Bochum (Urteil vom 11.05.2011; Aktenzeichen 6 O 163/09) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 11.5.2011 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bochum wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufungsinstanz.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht als gesetzliche Krankenkasse ihres Mitglieds E, geb. am..., Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers geltend.
Die Versicherte der Klägerin leidet an einer Gerinnungsstörung (erworbene Faktor-VIII-Hemmkörper-Hämophilie) und der Autoimmunkrankheit "Systemischer Lupus-Eythematodes" (SLE). Der SLE war vor der streitgegenständlichen Behandlung bereits im September 2005 in einem anderen Krankenhaus behandelt worden. Im November 2005 ließ die Versicherte im Krankenhaus der Beklagten eine Hüftgelenksoperation durchführen, bei der eine Endototalprothese implantiert wurde. Postoperativ kam es zu schweren Nachblutungen, da präoperativ von der Beklagten die Gerinnungsstörung weder diagnostiziert noch therapiert worden war. Die Versicherte musste wegen der Nachblutungen mit zahlreichen kostenintensiven Behandlungen stationär und auch intensivmedizinisch versorgt werden.
Die Klägerin hat den Ersatz der Behandlungskosten, abzgl. der Kosten für die Hüftoperation, i.H.v. 618.798,69 EUR sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden und den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten mit der Begründung geltend gemacht, die Beklagte habe fehlerhaft die Gerinnungsstörung der Versicherten der Klägerin nicht diagnostiziert und behandelt. Aus diesem Grunde seien kostenintensive Krankenhausaufenthalte erforderlich geworden.
Nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. D nebst mündlicher Erläuterung ist die Beklagte durch die angefochtene Entscheidung unter Abweisung der weiter gehenden Klage verurteilt worden, an die Klägerin Schadensersatz aus übergegangenem Recht i.H.v. 588.798,69 EUR nebst Zinsen sowie 5.907,16 EUR außergerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung zu zahlen. Ferner hat das LG die Ersatzpflicht für künftige Schäden festgestellt. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Versicherte der Klägerin vor Durchführung des operativen Eingriffs vom 4.11.2005 grob fehlerhaft behandelt worden sei, weil die Gerinnungsstörung nicht erkannt und therapiert worden sei. Dadurch sei es zu einer schweren Nachblutung mit entsprechenden Folgen gekommen, die umfangreiche und kostenintensive Nachbehandlungen notwendig gemacht hätten. Aufgrund des im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität geltenden § 287 ZPO sei davon auszugehen, dass durch die unterlassene Befunderhebung Kosten i.H.v. insgesamt 618.798,69 EUR verursacht worden seien. Nach den Grundsätzen des rechtmäßigen Alternativverhaltens seien hiervon geschätzte 30.000 EUR abzuziehen, die für eine dreistufige Therapie zur vorherigen Behandlung der Hemmkörper-Hämophilie der Versicherten der Klägerin ohnehin angefallen wären. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Klärung der Frage, ob die bei der Versicherungsnehmerin bestehende Autoimmunerkrankung "Systemischer Lupus-Eythematodes" (SLE) als Begleiterkrankung Einfluss auf die Behandlung und die Prognose gehabt hätte, sei nicht geboten gewesen, da dieses nach den Erläuterungen des Sachverständigen Dr. D wegen der Seltenheit der Erkrankung voraussichtlich keine neuen Erkenntnisse erbracht hätte. Wegen der weiteren Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die sich - ohne die Feststellung des Behandlungsfehlers und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden anzugreifen - lediglich gegen die Verurteilung der Höhe nach wendet. Die Beklagte führt zur Begründung aus, das LG habe ihren Beweisantritt zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens fehlerhaft übergangen, wobei es sich auf bloße Vermutu...