Leitsatz (amtlich)
Ein 21 cm hoher Bordstein kann für einen Fußgänger, der - außerhalb des Bereichs eines Fußgängerüberwegs mit abgesenktem Bordstein - über den Bordstein von der Fahrbahn auf den Gehweg gelangen will, rechtzeitig erkennbar und beherrschbar sein und stellt dann keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar.
Normenkette
BGB § 839; GG Art. 34; StrWG NW §§ 9, 9a, 47
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 014 O 93/21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 07.09.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 14. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache erfolglos.
Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht aufgrund ihres Sturzes am 05.05.2018 am Bordstein der A-Straße in B in Höhe des Hauses Nr. ... kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 StrWG NW zu.
1. Zwar bestehen Bedenken, ob der Begründung des Landgerichts gefolgt werden kann, dass ein Anspruch der Klägerin ausscheidet, weil sie ein anspruchsausschließendes Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB treffe. Denn das Landgericht verkennt, dass die Haftung aus einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht schon dann vollständig entfällt, wenn ein Geschädigter bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt eine pflichtwidrig bestehende Gefahrenstelle hätte erkennen und beherrschen können. Die haftungsrechtliche Gesamtverantwortung für das Unfallereignis würde damit allein auf den Geschädigten verlagert, obwohl der Verkehrssicherungspflichtige eine maßgebliche Ursache für das Schadensereignis gesetzt hätte. Dieses Ergebnis widerspräche dem Schutzzweck der verletzten Verkehrssicherungspflicht, die mitunter auch solche Verkehrsteilnehmer vor Schäden bewahren soll, die nicht stets in höchstem Maße Aufmerksamkeit und Vorsicht walten lassen. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann daher nur angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist (vgl. BGH, Urteil v. 20.06.2013, III ZR 326/12, juris, Tz. 18 ff.).
Zu einem Sorgfaltsverstoß der Klägerin von diesem Gewicht fehlen ausreichende Feststellungen des Landgerichts, da allein die Erkennbarkeit der Gefahrenstelle und das sorgfaltswidrige Verhalten der Klägerin noch keinen Vorwurf einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit zulassen.
2. Indes kann die Frage eines anspruchsausschließenden Mitverschuldens der Klägerin vorliegend dahinstehen, weil es schon an einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte und damit an einer schuldhaften Amtspflichtverletzung fehlt. Die Errichtung eines Bordsteins mit einer Höhe von 21 cm vermag eine Haftung der Beklagten nicht zu begründen.
a) Die für die Sicherheit der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen zuständigen Gebietskörperschaften haben im Rahmen des ihnen Zumutbaren nach Kräften darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesen Bereichen nicht zu Schaden kommen. Allerdings muss der Sicherungspflichtige nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen, da eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, praktisch nicht erreichbar ist. Vielmehr bestimmt sich der Umfang der Verkehrssicherungspflicht danach, für welche Art von Verkehr eine Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist und was ein vernünftiger Benutzer an Sicherheit erwarten darf. Dabei haben Verkehrsteilnehmer bzw. die Straßen- und Wegebenutzer die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen und sich ihnen anzupassen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten, und mit typischen Gefahrenquellen, wie etwa Unebenheiten, zu rechnen. Ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist erst dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung anderer ergibt (OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006, 9 U 143/05, zitiert nach juris Tz. 9 mit Verweis auf: OLG Hamm, Urteil vom 19.07.1996 zu 9 U 108/96, NZV 1997, S. 43; OLG Hamm, Urteil vom 25.05.2004 zu 9 U 43/04, NJW-RR 2005, S. S. 255, 256). Dies ist der Fall, wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Benutzer bei Beachtung der zu erwartenden Eigensorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (vgl. dazu grundlegend: BGH, Urteil vom 21.06.1979 zu III ZR 58/78, VersR 1979, S. 1055; BGH, Urteil vom 11.12.1984 zu...