Leitsatz (amtlich)
Ansprüche Geschädigter gem. § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 PflVG gegen den Entschädigungsfonds können gem. §§ 5 OEG, 81a BVG auf den Hoheitsträger übergehen, wenn dieser den Geschädigten in Anwendung der Regelung zum Ausgleich von Härten aufgrund bestandskräftiger Leistungsbescheide kongruente Leistungen nach Opferentschädigungsgesetz und dem Bundesversorgungsgesetz erbringt.
Hinweis: Die Entscheidung betrifft die bis zum 30.08.2018 gültige Fassung des Opferentschädigungsgesetzes. Der Senat hat die Revision zugelassen.
Normenkette
BVG §§ 81a, 89; OEG §§ 1, 5; PflVG § 12; SGB X § 118
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 016 O 67/21) |
Tenor
Auf die Berufung des klagenden Landes wird das am 03.11.2021 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem klagenden Land die von ihm auf der Grundlage bestandskräftiger Bescheide an die Opfer der am 07.04.2018 gegen 17:27 Uhr von Herrn A vorsätzlich mit dem Kleinbus B auf der Außenterrasse des Restaurants "C" in der D Innenstadt verübten sog. Amokfahrt und deren Hinterbliebenen erbrachten und noch zu erbringender Leistungen insoweit zu ersetzen, als der Beklagte im Falle seiner Inanspruchnahme durch die Opfer und deren Hinterbliebenen in zeitlicher und sachlicher Hinsicht diesen gegenüber selbst zur Erbringung gleicher Leistungen verpflichtet gewesen wäre, und soweit dem klagenden Land diese nicht von Dritten erstattet werden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern das klagende Land vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Das klagende Land begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für Leistungen, die es auf der Grundlage des in der Zeit vom 25.07.2017 bis 30.06.2018 gültigen Opferentschädigungsgesetzes gegenüber den Opfern der Amokfahrt vom 07.04.2018 in D und deren Hinterbliebenen erbracht hat und noch erbringen wird.
Am 07.04.2018 fuhr Herr A vorsätzlich mit einem B auf die Außenterrassen des in der D Innenstadt gelegenen Restaurants "C". Er tötete dabei 4 Menschen, verletzte 20 Menschen teilweise schwer und beging anschließend Suizid. Die Europa Versicherung AG als Haftpflichtversicherer des B war den Opfern der Gewalttat und deren Hinterbliebenen gemäß § 103 \/VG nicht einstandspflichtig, weil die Tat von Herrn A vorsätzlich begangen wurde. Von Opfern und deren Hinterbliebenen wurden daraufhin bei den Landschaftsverbänden Westfalen Lippe und Rheinland Anträge auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz und dem Bundesversorgungsgesetz gestellt.
Nach der zu diesem Zeitpunkt gültigen Fassung des OEG (25.07.2017 bis 30.06.2018) war in § 1 OEG u.a. Folgendes geregelt:
§ 1 Anspruch auf Versorgung
(1) 1Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. 2Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat....(11) Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verursacht worden sind.
(12) 1§ 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). 2 ....
Mit Erlass vom 16.04.2018 (Bl. 23 f der Akten) stimmte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des klagenden Landes (im Folgenden: MAGS) nach § 1 Abs. 12 OEG (a.F.) gegenüber den Landschaftsverbänden Westfalen-Lippe und Rheinland zu, den Opfern und Hinterbliebenen der Amokfahrt Versorgung in Anwendung des OEG zu gewähren. Weiter heißt es in dem Erlass: "Eine Nichtanwendung des OEG erachte ich in der Gesamtschau als eine für die Betroffenen unbillige Härte".
In der Folgezeit erbrachte das klagende Land durch die Landschaftsverbände Westfalen-Lippe bzw. Rheinland an die Opfer der Amokfahrt und deren Angehörige bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung Leistungen in Höhe von 332.001,60 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf die vom Beklagten zu den Akten gereichte Aufstellung der Leistungsbescheide (Blatt 92 f der Akten) sowie die beispielhaft in Ablichtu...