Leitsatz (amtlich)
1. Der Tankstellenbetreiber verletzt die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht, wenn er auf dem ihm betriebenen Tankstellengelände im Bereich einer zuvor höhenmäßig nicht beschränkten, und von einem Müllentsorgungsfahrzeug regelmäßig befahrenen Zufahrstsstraße einen Preismasten mit einer Durchfahrtshöhe von 3,825 m errichtet, ohne auf die geänderte beschränkte Durchfahrtshöhe hinzuweisen.
2. Muss der Fahrer des Müllentsorgungsfahrzeugs die nur um wenige Zentimeter zu geringe Durchfahrtshöhe nicht erkennen, ist im Falle einer Berührung des Fahrzeugs mit dem Preismasten nur die Betriebsgefahr bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge in Bezug auf den durch den Erstanstoß verursachten abgrenzbaren Schaden einzustellen.
3. Ein Verschulden trifft den Fahrer aber dann, wenn er die Umsturzgefahr des infolge des ersten Anstoßes schräg stehenden Preismasten dadurch erhöht, dass er sein bis dahin als Stütze fungierendes Fahrzeug entfernt.
4. Greift anschließend ein nicht vom Fach stammender Dritter ein, der mittels einesSchwerlastfahrzeugs versucht, den schief stehenden Mast gerade zu biegen, und führt dies zum Umknicken des Mastes und einem abgrenzbaren Mehrschaden, so lässt diese misslungene Aktion nicht den Zurechnungszusammenhang entfallen.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1, § 9
Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 29.01.2015; Aktenzeichen 012 O 565/13) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29.01.2015 verkündete Urteil des Einzelrichters der der 12. Zivilkammer des LG Münster teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.169,25 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2014 zu zahlen.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen zu 15 % die Beklagten als Gesamtschuldner und zu 85 % die Klägerin. Die außergerichtlichen Kosten der Streithelferinnen zu 1) und 2) in erster Instanz tragen zu 15 % die Beklagten als Gesamtschuldner und zu 85 % die Streithelferinnen selbst.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 18 % und die Klägerin zu 82 %. Die außergerichtlichen Kosten der Streithelferinnen zu 1) und 2) tragen zu 18 % die Beklagten als Gesamtschuldner und zu 82 % die Streithelferinnen selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin zu 3) tragen zu 26 % die Beklagten als Gesamtschuldner und zu 74 % die Streithelferin zu 3) selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche wegen eines Schadensereignisses vom 23.07.2010 auf dem Gelände einer von ihr betriebenen Tankstelle in S geltend, bei dem ein Preismast beschädigt worden ist.
Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Bl. 285 ff. GA) Bezug genommen. Wegen der Unfallörtlichkeit, der Endstellungen/Spurenlage und der Schäden wird verwiesen auf die eingereichten Lichtbilder (Bl. 134 ff. und 176 ff. GA) sowie auf das von der Beklagtenseite veranlasste U-Gutachten vom 21.02.2011 (vgl. Bl. 4 ff. i.V.m. den zugehörigen Fotos, 134 ff. GA), auf welches die Parteien sich bezogen haben und welches sich auf S. 23 ff. (Bl. 25 f. GA) auch zu den an der Preismasterrichtung beteiligten Unternehmen und deren Aufgabenbereichen verhält.
Das LG hat die Geschäftsführerin der Klägerin und den Beklagten zu 3) persönlich angehört (vgl. Bl. 173 f. GA) und gemäß Beweisbeschluss vom 05.05.2014 (Bl. 196 f. GA) zu den Fragen der ordnungsgemäßen Ausführung des Preismastes bzgl. der Höhe und der Erforderlichkeit eines Hinweisschildes Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen (lose bei den Akten befindlichen) Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. und Architekt V. Es hat sodann die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Der Klägerin stünden gegen die Beklagten keine Ansprüche auf weiteren Schadensersatz aus §§ 7, 18 StVG, 823 BGB (i.V.m. § 115 VVG) zu, weil ihr ein anspruchsausschließendes Eigenverschulden in Form einer Verkehrssicherungspflichtverletzung anzulasten sei. Sie habe zunächst die hier in Rede stehende Verkehrsfläche auf ihrem Gelände für den Fahrzeugverkehr eröffnet und dabei auch das Befahren mit höheren Fahrzeugen, gerade und konkret auch mit dem klägerischen Fahrzeug, jedenfalls konkludent geduldet. Die Klägerin sei - wie das eingeholte Sachverständigengutachten ergeben habe - sicherungsrechtlich verpflichtet gewesen, auf die mit 3,825 m deutlich unter 4 m liegende Durchfahrts...