Leitsatz (amtlich)
Eine jährlich zweimalige Sichtprüfung von Straßenbäumen (im belaubten und unbelaubten Zustand) nach der sog. VTA-Methode erfüllt grundsätzlich die an eine sachgerechte Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht zu stellenden Anforderungen (Bestätigung der st. Senatsrechtsprechung).
Austriebe größerer Zahl, Wülste am Stamm, Rindenveränderungen sowie ältere Ästungswunden in 5m Höhe an einer älteren Kastanie stellen nicht ohne weiteres verdächtige Defektsymptome dar; daher begründet ein Unterlassen einer über die Sichtkontrolle hinausgehenden fachmännischen Untersuchung eines solchen Baumes nicht den Vorwurf der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 24.04.2002; Aktenzeichen 11 O 28/02) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 24.4.2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagte ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I. Am 3.12.1999 gegen 13.00 Uhr, befuhr die Tochter des Klägers, Frau F., mit dem Pkw des Klägers die C.-Straße in F. in Richtung Süden. Auf dem Beifahrersitz saß die Ehefrau des Klägers und Mutter der Fahrerin. Rechts neben der Straße befindet sich in dem Bereich zwischen X.-Weg und N.-Weg eine ansteigende Böschung, auf deren Kuppe in einem Abstand von ca. 4 Metern vom Fahrbahnrand ein Fußgang entlang der C.-Straße verläuft. Die Böschung ist mit Bäumen und Unterholz bepflanzt. Zur Unfallzeit herrschte starker Wind mit Windstärken von 6 bis 7, in Böen teilweise 9 Beaufort. Während der Fahrt der Frau F unterhalb der Böschung stürzte eine durch den starken Wind abgeknickte - 60 bis 80 Jahre alte - Rosskastanie von der Böschung auf die Fahrbahn der C.-Straße und dort auf das gerade vorbei fahrende Fahrzeug des Klägers. Der Wagen wurde quer zur Fahrtrichtung in Höhe des Fahrer- und Beifahrersitzes von dem abgeknickten Baumstamm getroffen, wobei beide Insassinnen schwer verletzt wurden. Die Ehefrau des Klägers verstarb am 30.8.2001 nach einem unfallbedingten "apallischen Syndrom". Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für diesen Unfall. Die Bäume in dem Unfallbereich waren zuletzt am 25.10.1999 durch Mitarbeiter des Grünflächenamtes der Beklagten einer Sichtprüfung - ohne Defektbefund - unterzogen worden.
Der Kläger behauptet, der Schadensbaum habe an Weißfäule und einer völligen Durchmorschung des Stammkerns gelitten. Dies hätten die Mitarbeiter der Beklagten bei der sorgfältiger Sichtprüfung im Oktober 1999 feststellen können. Der Baum habe zahlreiche äußere Defektsymptome gezeigt, die, wenn auch in größerer Höhe am Stamm gelegen, zumindest mit einem Fernglas sichtbar gewesen wären. Bei sorgfältiger Prüfung wären Morschungen, offene Höhlungen, Nottriebe, Kalluswülste und Rindenveränderungen erkennbar gewesen, welche die Baumkontrolleure hätten veranlassen müssen, unter Zuhilfenahme von Fernglas, Leiter oder Hubarbeitsbühne eine nähere Inaugenscheinnahme vorzunehmen und die Erforderlichkeit weiterer Untersuchungen zu prüfen. Mit dem Unterlassen dieser Überprüfung habe die Beklagte die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Mit seiner Klage hat der Kläger für materiellen Schaden aus eigenem und übergegangenem Recht einen Kapitalbetrag i.H.v. 107.656,30 DM sowie eine Geldrente von monatlich 1.950 DM - beginnend ab September 2001 bis einschließlich Mai 2012 - und ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 180.000 DM begehrt.
Die Beklagte ist diesem Begehren entgegen getreten und hat zum Zeitpunkt der letzten Sichtkontrolle erkennbare Defektsymptome, die Anlass zu weiteren Überprüfungen hätten geben müssen, in Abrede gestellt. Ferner hat sie sich zur Höhe der geltend gemachten materiellen Schadensposten mit Nichtwissen erklärt und das Schmerzensgeldbegehren als wesentlich überhöht bewertet.
Das LG hat nach Verwertung der Beiakten 4 OH 3/00 LG Essen und 70 Js 234/99 StA Essen im Wege des Urkundenbeweises sowie mündlichen Erläuterungen der Sachverständigen Dipl.-Ing. N1. und I. zu den in den Beiakten erstatteten schriftlichen Gutachten die Klage abgewiesen. Es ist bei der kontroversen Beurteilung der Frage eines Vorhandenseins von hinreichenden Defektsymptomen durch die Gutachter der - diese Frage verneinenden - Auffassung des Sachverständigen I. gefolgt und hat deshalb eine Pflichtverletzung der mit der Kontrolle beauftragten Bediensteten der Beklagten als nicht bewiesen angesehen.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seine bisherigen Klageanträge in vollem Umfang weiter, wobei er die Beweiswürdigung des LG angreift. Der Senat hat ein Obergutachten des Sachverständigen N2. eingeholt.
II. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Auch das vom Senat eingeholte Obergutachten...