Leitsatz (amtlich)
1. Wenn Eltern in einer gemeinschaftlich errichteten letztwilligen Verfügung ihre Kinder gleichmäßig als Schlusserben eingesetzt haben ohne ausdrückliche Regelungen im Sinne eines sog. Behindertentestaments zu treffen und bestimmt haben, dass dasjenige ihrer Kinder, das nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils seinen Pflichtteil fordert, auch nach dem Tod des später versterbenden Elternteils auf den Pflichtteil beschränkt sein soll, dann greift diese "Pflichtteilsstrafklausel" auch ein, wenn nicht das (behinderte) Kind selbst, sondern der Träger der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht die Pflichtsansprüche geltend macht.
2. Die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder für den Schlusserbfall ist nicht von der Pflichtteilsstrafklausel zu trennen. Ein Abweichen von der wechselbezüglich verfügten Schlusserbeneinsetzung der Kinder nach Maßgabe der Pflichtteilssanktionsklausel durch eine eigene letztwillige Verfügung ist dem überlebenden Elternteil gem. § 2271 Abs. 2 BGB nicht gestattet.
Normenkette
BGB § 2314 Abs. 1, §§ 2303, 2247, 2258, 2271; SGB XII § 93 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 18.04.2012; Aktenzeichen 20 O 357/11) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 18.4.2012 verkündete Teilurteil der 20. Zivilkammer des LG Essen wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die in dem Teilurteil ausgesprochene Verurteilung der Beklagten, die Werte der einzelnen anzugebenden Nachlassgegenstände am 6.2.2010 mitzuteilen und Abschriften der zur Wertermittlung erforderlichen Unterlagen vorzulegen, gegenstandslos ist.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 90 % und der Kläger zu 10 %.
Dieses Urteil und das Teilurteil des LG sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht im Wege der Stufenklage aus übergegangenem Recht der Leistungsempfängerin T3 erbrechtliche Ansprüche nach deren am 6.2.2010 verstorbenen Mutter T (Erblasserin) geltend. Die Beklagten sind die 3 Schwestern der Leistungsempfängerin T3. Sie stammen wie diese aus der Ehe des Handelsvertreters T2 mit der Erblasserin T.
Die Leistungsempfängerin T3 ist die jüngste Tochter der Eheleute und seit ihrer Geburt schwer behindert. Es bestand von je her keine Aussicht, dass sie ohne die Fürsorge Fremder würde leben können. Seit dem Jahr 1991 befindet sie sich in einer entsprechenden Behinderteneinrichtung und im Leistungsbezug des Klägers; dieser gewährt ihr seit Jahren Sozialhilfe in Form der vollstationären Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.
Die Beklagte zu 1) ist mittlerweile als gesetzliche Betreuerin ihrer behinderten Schwester bestellt.
Die Eheleute T+T2 hatten zu Lebzeiten Testamente errichtet, die nach Eintritt der jeweiligen Erbfälle vom AG Essen-Steele zu den Aktenzeichen 7 IV 162/97 und 7 IV 388/98 eröffnet wurden.
In einem vor dem Notar M mit Amtssitz in F unter dem 4.5.1979 errichteten Testament setzten sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen Erben ein und verfügten, dass der Überlebende von ihnen frei - auch letztwillig - über den Nachlass verfügen können sollte. In diesem Testament heißt es weiter:
"...
2. Sollte eins unserer Kinder dieses Testament anfechten, soll es lediglich den Pflichtteil, und zwar auch von dem Nachlass des zuletzt verstorbenen erhalten. Auf den Pflichtteil ist alles anzurechnen, was anzurechnen ist ..."
Mit Datum vom 13.6.1995 errichteten die Eheleute ein weiteres - privatschriftliches - Testament, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 7 d.A.) Bezug genommen wird. Darin heißt es:
"... Wir setzen uns gegenseitig zu Vollerben ein.
Erben des Überlebenden sollen unsere Kinder sein.
Sollten unsere Kinder nach dem Tod des Erstversterbenden das Pflichtteil fordern, soll es auch nach dem Tod des später versterbenden Ehegatten auf den Pflichtteil beschränkt sein ..."
Nach dem Tode des Ehemannes T2 am 1.5.1997 machte der Kläger gegen dessen Witwe als Alleinerbin aus übergegangenem Recht der Tochter T3 erfolgreich Pflichtteilsansprüche geltend.
Die verwitwete Erblasserin errichtete am 28.8.1998 vor dem Notar C in F ein notarielles Testament, wegen dessen Inhalt auf die Anlage K 2 zur Klageschrift (Bl. 8 ff. d.A.) Bezug genommen wird. Darin erklärte sie u.a., durch frühere Testamente oder Erbverträge "nicht in ihrer Testierfähigkeit behindert" zu sein und verwies darauf, dass ihr Vermögen in der Hauptsache aus dem Hausgrundstück in F an der L-Straße sowie Bankguthaben i.H.v. ca. 80.000,- DM bestehe. In diesem Testament heißt es weiter:
"...
2. Ich setze hiermit meine Töchter (Anmerkung; Es folgen die Namen aller vier Töchter)... zu meinen Erben zu gleichen Teilen an. Die als Miterbin eingesetzte Tochter T3 wird jedoch nur nicht befreite Vorerbin. Zu Nacherben zu gleichen Teilen setze ich meine Töchter T4 ..., T5 ... und T6 ... zu gleichen Teilen ein.
Die Nacherbfolge tritt mit dem Tode der Vorerbin ein.
Die Nacherben sind auch Ersatzerben.
... Die Vorerb...