Leitsatz (amtlich)

1. Zur Unfallkausalität eines Verstoßes gegen die Verbote a) entgegen der Fahrtrichtung im Sinne des § 12 Abs. 4 StVO und b) teils auf einem Gehweg im Sinne des § 12 Abs. 4a StVO zu parken.

2. Auch wenn ein Lkw entgegen der Fahrrichtung parkt, liegt ein Verstoß eines zur Feststellung des Verkehrsverstoßes berufenen Polizisten gegen § 1 Abs. 2 StVO vor, wenn er das Polizeifahrzeug derart nah hinter dem Lkw zum Halten bringen will, dass er die Laderampe des Lkw rammt. Zu einem solchen Fahrverhalten darf sich ein Polizist auch nicht aufgrund der Verkehrsverstöße herausgefordert fühlen.

 

Verfahrensgang

LG Detmold (Aktenzeichen 02 O 20/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 09.06.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Detmold abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 58 % und die Beklagten zu 42 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der Kosten der Anschlussberufung, trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S.1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, die Anschlussberufung der Klägerin hingegen unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen über den bereits gezahlten Betrag hinausgehenden Anspruch auf Zahlung weiteren Schadensersatzes. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht unter den Voraussetzungen von §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, Abs. 3, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG, 823 Abs. 1, 421 BGB.

1. Zwar haften die Beklagten der Klägerin dem Grunde nach entsprechend dieser Vorschriften für die Folgen des Unfallereignisses. Die nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung ergibt jedoch, dass der in die Abwägung einzustellende Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 2) jedenfalls nicht mit mehr als 33,26 % zu bewerten ist. Durch die Zahlung in Höhe von 4.115,42 EUR, die der entsprechenden Quote am Gesamtschaden entspricht, haben die Beklagten ihren Haftungsanteil an dem Verkehrsunfall daher in jedem Fall vollständig ausgeglichen.

a. Nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (vgl. BGH Urt. v. 15.5.2018 - VI ZR 231/17, Rn. 10, beck-online). Darüber hinaus ist die konkrete Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge von Bedeutung (vgl. Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 17 StVG (Stand: 28.03.2018), Rn. 20 ff.). Die Umstände, die die konkrete Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs erhöhen, insbesondere also dem anderen zum Verschulden gereichen, hat im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung jeweils der eine Halter zu beweisen (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 17 StVG (Stand: 28.03.2018), Rn. 58).

aa. Dem Zeugen A ist ein schuldhafter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO zur Last zu legen, der zu Lasten der Klägerin in die Abwägung einzustellen ist. Ein Verstoß gegen § 6 StVO liegt, anders als die Beklagten meinen, hingegen nicht vor.

(1) Nach § 1 Abs. 2 StVO hat sich, wer am Verkehr teilnimmt, so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Diesen Anforderungen ist der Zeuge A nicht gerecht geworden, indem er nach Passieren des ordnungswidrig abgestellten Lkw fahrlässig so früh wieder eingeschert ist, dass er mit der 35 cm hochstehenden Ladebordwand des Lkw kollidiert ist. Gerade im Hinblick darauf, dass der Zeuge A bekundet hat, die Ladebordwand bereits bei seiner ersten Vorbeifahrt am Lkw gesehen zu haben, konnte er nicht davon ausgehen, gefahrlos unmittelbar hinter dem Lkw einscheren zu können. Selbst wenn die Ladebordwand - wie von ihm ausgesagt - am Boden gewesen wäre, wäre ein solch frühes Einscheren und überfahren der Ladebordwand verkehrswidrig gewesen.

(2) Gemäß § 6 Satz 1 StVO muss, wer an einer Fahrbahnverengung, einem Hindernis auf der Fahrbahn oder einem haltenden Fahrzeug links vorbeifahren will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Muss ausgeschert werden, ist nach § 6 Satz 3 StVO auf den nachfolgenden Verkehr zu achten und das Ausscheren sowie das Wiedereinordnen - wie beim Überholen - anzukündigen. Damit rege...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?