Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 16 O 135/19)

 

Tenor

Auf die (Anschluss-)Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 26.07.2019 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.117,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.04.2019 zu zahlen Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs X ... 1,6 l ... DPF mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ...0...000001.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die weitergehende (Anschluss-)Berufung des Klägers und die weitergehende Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens verbleibt es bei der Entscheidung des Landgerichts.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 35% und die Beklagte 65%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.700,- EUR festgesetzt (davon entfallen 11.708,13 EUR auf die Anschlussberufung des Klägers und 8.991,87 auf die Berufung der Beklagten).

 

Gründe

(§ 540 ZPO)

I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem "Diesel-Abgas-Skandal" geltend.

Die Beklagte teilt sich innerhalb des Konzerns in unterschiedliche Business Units auf. Zu ihren Tochtergesellschaften zählen u.a. die B AG, T S.A., R a.s., aber auch Marken wie X PKW. Die Geschäftspolitik dieser Konzerntöchter wird von der Beklagten bestimmt.

Der Kläger erwarb am 00.06.2012 das im Urteilstenor genannte Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 20.700,- EUR bei dem Autohaus I GmbH in P. Es handelte sich um ein bereits gebrauchtes Neufahrzeug, das im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger eine Laufleistung von 26.200 km aufwies.

Das dem Kläger ausgehändigte Fahrzeug verfügt über einen von der Beklagten entwickelten und produzierten Dieselmotor mit der herstellerinternen Typenbezeichnung EA 189. Für diesen Typ war die Genehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29.06.2007, nachfolgend Verordnung 715/2007/EG) erteilt worden - mit der Schadstoffklasse Euro 5. Das Fahrzeug ist mit einer Software ausgestattet worden, die den Stickoxidausstoß im Prüfstandbetrieb, sogenannter "Modus 1", reduziert. Die maßgeblichen Abgaswerte werden unter Laborbedingungen im "Neuen Europäischen Fahrzyklus" ermittelt. Alle Fahrzeuge müssen im Testlauf bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten, um eine Typgenehmigung der Euro 5-Norm zu erhalten. Die in dem Fahrzeug des Klägers eingesetzte Software verfügt über eine Fahrzykluserkennung, die bemerkt, wenn der Wagen auf dem Prüfstand betrieben wird und den "Neuen Europäischen Fahrzyklus" durchläuft. Hierdurch wird dann durch eine - von der Beklagten so bezeichnete - "Abschaltautomatik" bzw. "Umschaltlogik" im Testbetrieb der Abgasrückführungsmodus 1 aktiviert, im herkömmlichen Straßenverkehr hingegen der Modus 0. Im Modus 1 werden die Grenzwerte der Euro 5-Norm eingehalten, im Modus 0 hingegen nicht. Nur aufgrund dieser Software, die erkennt, dass das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen wird, hält der Motor während des Prüftstandtests die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr wird der Wagen anderweitig betrieben, nämlich im sogenannten "Modus 0" mit einer geringeren Abgasrückführungsrate. Dies hat zur Folge, dass der Stickoxidausstoß höher ist.

Die Entscheidung für den Einsatz der Software wurde in den Jahren 2005/2006 getroffen. Deren Verwendung hatte die Beklagte dabei weder im Rahmen des Tests zwecks Erreichung der Typgenehmigung für das Fahrzeug noch bei der Bewerbung am Markt offengelegt. Diese Zusammenhänge wurden erst im Herbst 2015 öffentlich bekannt. Unter dem 22.09.2015 gab die Beklagte eine "Ad-hoc-Mitteilung" nach § 15 WpHG heraus: "X informiert." Darin hieß es unter anderem:

"... Auffällig sind Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen. Ausschließlich bei diesem Motortyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandwerten und realem Fahrbetrieb festgestellt. ..."

Nach dem Bekanntwerden der Softwareproblematik verpflichtete das Kraftfahrt-Bundesamt mit Beschluss vom 14.10.2015 die Beklagte zur Entfernung der nach Einschätzung der Behörde unzulässigen Abschalteinrichtung. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Motoren mit einer unzulässigen...

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