Entscheidungsstichwort (Thema)
Streupflicht nur auf unentbehrlichen Gehwegen
Leitsatz (amtlich)
Die gemeindliche Pflicht zur Winterwartung auf Gehwegen erstreckt sich nur auf verkehrswichtige Gehwege. Die Verkehrswichtigkeit beurteilt sich – anders als die Verkehrswichtigkeit von Fahrbahnen – danach, ob es sich um unentbehrliche Gehwege handelt, für die ein jederzeit zu bedienendes Verkehrsbedürfnis besteht. Streupflichtigen Gehwegen muss eine notwendige Erschließungsfunktion zukommen; allerdings ist die Winterwartung bei mehreren Wegen nur für diejenigen Wege geboten, die bei vernünftiger Beurteilung nach Verkehrsbedeutung und Anlage auch im Winter als die wesentlichen Verbindungen erscheinen. Bei Abkürzungen ist ferner zu berücksichtigen, ob die Benutzung eines gesicherten Umweges wegen unverhältnismäßig längerer Wegstrecke als unzumutbar erscheinen kann.
Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 27.01.2003; Aktenzeichen 2 O 626/02) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 27.1.2003 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Münster wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin unternahm am 24.12.2000 gegen 21.00 Uhr in S. in Begleitung ihrer beiden Kinder von ihrem Wohnhaus …-straße aus einen Abendspaziergang. Am Ende der …-straße, im Bereich des Hauses …-straße rutschte sie an einer im Einzelnen str. Stelle aus, stürzte zu Boden und zog sich hierbei Verletzungen zu. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte für diesen Vorfall wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht einzustehen hat. Die Unfallstelle liegt in einem aus Ein- und Zweifamilienhäusern bestehenden Wohngebiet, das ausweislich des zu den Akten gereichten Lageplanes (Maßstab 1: 1.000) von der …-straße, … Straße und …-straße umschlossen ist. Von diesen Straßen führen Stichwege in das Wohngebiet, die gleichfalls die Namen der umgebenden Straßen tragen und keine gesonderten Gehwege aufweisen. Im Bereich dieser Stichwege liegt die Unfallstelle. Die Beklagte hat die Straßenreinigungs- und Streupflicht für sämtliche Gehwege ihres Stadtgebietes durch Satzung auf die Anlieger übergewälzt, jedoch ihre eigenen Grundstücke hiervon ausgenommen.
Die Klägerin behauptet, sie sei auf einer dieser Stichstraßen (…-straße) in Höhe eines im Eigentum der Beklagten stehenden Spielplatzes auf einer unter Neuschnee verborgenen Eisschicht zu Fall gekommen, die weder am Unfalltag noch an den Tagen zuvor abgestreut worden sei. Mit ihrer Klage hat sie Ersatz eines mit 2.462,01 Euro bezifferten materiellen Schadens sowie ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 800 Euro begehrt.
Die Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten. Sie erklärt sich zu der behaupteten Lage der Unfallstelle mit Nichtwissen, stellt eine ihr obliegende Streupflicht für die Stichstraßen in Abrede und behauptet, diese Stelle sei – dennoch – am 24.12.2000 durch Mitarbeiter ihres Bauhofes abgestreut worden.
Das LG hat nach Einholung eines Gutachtens des Deutschen Wetterdienstes über die Wetter- und Bodenverhältnisse am Unfallort die Klage abgewiesen. Es hat die Verkehrswichtigkeit der von der Klägerin angegebenen Unfallstelle verneint und den bei einem Abendspaziergang erlittenen Unfall dem Risikobereich der Klägerin zugewiesen.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihre bisherigen Klageanträge in vollem Umfang weiter, wobei sie insb. den vom LG herangezogenen Maßstab für die Sicherung des Fahrverkehrs beanstandet.
II. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Klägerin steht wegen ihres Sturzes gegen die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadenersatzanspruch zu.
1. Ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB aus Anliegerhaftung scheitert bereits daran, dass die Beklagte ihr Grundstück von der nach § 2 i.V.m. § 1 Abs. 2 ihrer Satzung (über Straßenreinigung und Erhebung von Straßenreinigungsgebühren) vorgenommenen Überwälzung der Streupflicht auf Anlieger ausgenommen hat.
2. Auch ein Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 2 Straßenreinigungsgesetz Nordrhein-Westfalen (StrReinG NW), Art. 34 GG wegen Amtshaftung ist nicht gegeben, da die Klägerin die räumlichen Voraussetzungen einer Streupflicht der Beklagten nicht bewiesen hat.
a) Dabei kann schon nicht eindeutig ausgeschlossen werden, dass die Klägerin in einem in die Verantwortung des Besitzers des Hauses …-straße fallenden Streubereich gestürzt ist. Für diese Möglichkeit spricht der Umstand, dass die Klägerin in der Klageschrift hat vortragen lassen, sie sei „im Bereich des Hauses …-straße …” zu Fall gekommen. Da auf den hier in Rede stehenden Stichstraßen unstr. keine gesonderten Gehwege vorhanden sind und die dortigen Anlieger nach der Straßenreinigungssatzung auch diejenigen an ihr Grundstück angrenzenden Straßenteile abzustreuen haben, deren Benutzung durch Fußgänger vorgesehen oder geboten ist (§ 1 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 der Satzung), steht auch das Fehlen eines gesonderten Gehweges einer möglichen Verantwortlichkeit ...