Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesundheitsfragen in der Pflegetagegeldversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für ein arglistiges Verhalten der Versicherungsnehmerin kommt es auf ihren Kenntnisstand zum Zeitpunkt des Versicherungsantrags an. Ein vier Jahre zurückliegender Hinweis der Hausärztin rechtfertigt die Feststellung von Vorsatz nicht, wenn die Versicherungsnehmerin plausibel darlegt, dass ihr eine aus ihrer Sicht länger zurückliegende unbedeutende Krankheitsepisode bei Antragstellung nicht mehr bewusst war. (Hier: Zeitlich begrenzte Verordnung von Medikamenten bei einer Diabetes-Mellitus-Diagnose.)

2. Fragt der Versicherer bei Antragstellung nach einem "Schlaganfall" in den letzten fünf Jahren, ist nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers eine TIA (transitorische ischämische Attacke) nicht anzeigepflichtig.

Hinweis: Die Beklagte hat ihre Berufung nach dem Beschluss des Senats zurückgenommen.

 

Normenkette

BGB § 123 Abs. 1; VVG §§ 19, 22

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 14 O 33/16)

 

Tenor

Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 04.11.2016 - 14 O 33/16 -. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Leistungen der Beklagten aus einer Pflegetagegeldversicherung.

Die am 29.03.1939 geborene Klägerin stellte am 03.03.2011 bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss einer Pflegetagegeldversicherung (Anlage B 1). Die Versicherung sollte zum 01.04.2011 beginnen; der monatliche Beitrag betrug 179,19 EUR. Es war ein Pflegetagegeld von 55,00 EUR pro Tag bei einer Pflegebedürftigkeit in der damals geltenden Pflegestufe III vorgesehen; bei einer Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe II sollte das Pflegetagegeld 60 % der vereinbarten Summe betragen. Für die Leistungspflicht sollte eine entsprechende ärztliche Feststellung in der Pflegepflichtversicherung maßgeblich sein. Zum Leistungsumfang gehörte außerdem eine Einmalzahlung bei Beginn der Pflegebedürftigkeit; zudem sollte im Leistungsfall eine Beitragsfreistellung erfolgen.

Das von der Beklagten vorformulierte Antragsformular enthielt zum Gesundheitszustand der Klägerin drei Fragen:

  • Besteht bereits aufgrund einer Krankheit oder Behinderung Pflegebedürftigkeit (auch wenn noch nicht ärztlich festgestellt) oder wurden jemals Anträge auf Leistungen aus einer privaten oder gesetzlichen Pflegeversicherung gestellt?
  • Besteht zur Zeit oder bestand in den letzten fünf Jahren eine der folgenden Krankheiten? Demenz (z. B. Alzheimer, vaskuläre Demenz [durch Durchblutungsstörungen im Gehirn verursachte Demenz]), sonstige Hirnleistungsstörung (z. B. durch Unfall, Infektion, Vergiftung oder Stoffwechselstörung), Apallisches Syndrom (Wachkoma), Parkinson-Krankheit, Chorea Huntington, Creutzfeld-Jacob, HIV-Infektion, Diabetes mellitus ("Zucker"), Krebserkrankungen, Hirntumor, Amyotrophe Lateralsklerose, Multiple Sklerose, Arteriosklerose, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Osteoporose, Morbus Bechterew, Leberzirrhose, Querschnittslähmung, Kinderlähmung (inkl. Folgen)
  • Steht innerhalb der nächsten sechs Monate eine Operation bevor (ausgenommen zahnärztliche Operationen)?

Sämtliche Fragen wurden von der Klägerin verneint. Die Beklagte nahm den Antrag der Klägerin an. Der von der Klägerin zu zahlende Beitrag wurde später erhöht; das Pflegetagegeld wurde ab dem 01.08.2014 auf 58,00 EUR pro Tag erhöht.

Am 13.01.2015 erfolgte in der Pflegepflichtversicherung die ärztliche Feststellung einer Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe II (vgl. die Anlage K 2). Die Klägerin machte daraufhin Leistungen aus dem Versicherungsvertrag geltend. Die Beklagte verweigerte eine Zahlung. Mit Schreiben vom 20.04.2015 (Anlage B 2) erklärte sie, sie fechte den Versicherungsvertrag gemäß § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung an. Die Klägerin habe im Antrag vom 03.03.2011 arglistig verschwiegen, dass sie in der Zeit vor Antragstellung wegen einer Diabetes mellitus Typ II ärztlich behandelt worden sei; wenn der Beklagten dieser Sachverhalt bekannt gewesen wäre, hätte sie wegen der Vorerkrankung keinen Versicherungsschutz übernommen. Das Verschweigen wiege umso schwerer, weil im Aufnahmeantrag speziell nach der Diagnose Diabetes mellitus ("Zucker") gefragt worden sei. Hilfsweise erklärte die Beklagte wegen des Verschweigens einer Diabetes-Mellitus-Erkrankung den Rücktritt vom Vertrag gemäß §§ 19 ff. VVG.

Die Klägerin hat im Verfahren vor dem Landgericht von der Beklagten Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung für die Zeit ab dem 01.11.2014 geltend gemacht. Außerdem hat die Klägerin die vertraglich vorgesehene Einmalleistung, Rückerstattung überzahlter Beiträge, Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten verlangt. Die Beklagte sei weder zur Anfechtung des Vertrages noch zum Rücktritt berechtigt gewesen; denn die Klägerin habe die Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag zutreffend beantwortet.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetret...

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