Entscheidungsstichwort (Thema)

Leitlinien der Aussetzungsentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Entscheidung über die Aussetzung eines Patent- oder Gebrauchsmusterverletzungsverfahrens im Hinblick auf ein Einspruchs-, Nichtigkeits- oder Löschungsverfahren ist aufgrund einer Interessenabwägung zu treffen, die dem mit der Verletzungsfrage befassten Gericht vorbehalten ist. Wird gegen die Aussetzung Beschwerde eingelegt, hat das Beschwerdegericht die Entscheidung nur darauf zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Aussetzung vorliegen und ob das LG sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

2. Der Überprüfung durch das Beschwerdegericht unterliegen dabei die abstrakten Leitlinien der Ermessensausübung. Dazu gehört die Frage, welche Erfolgswahrscheinlichkeit der Angriff gegen den Rechtsbestand des Klageschutzrechts haben muss, um eine Aussetzung zu rechtfertigen.

3. Jedenfalls wenn im kontradiktorischen Löschungsverfahren die Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters unter Berücksichtigung des für die Aussetzungsentscheidung maßgeblichen Standes der Technik erstinstanzlich bejaht wird, ist zum Schutz des Gebrauchsmusterinhabers die gleiche Zurückhaltung bei der Aussetzung des Verletzungsprozesses geboten wie im Patentverletzungsprozess.

 

Verfahrensgang

LG Mannheim (Beschluss vom 04.06.2013; Aktenzeichen 1 O 148/12)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des LG Mannheim vom 4.6.2013 (Az. 2 O 148/12) aufgehoben.

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegen die Beklagten wegen Gebrauchsmusterverletzung Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und Rückruf aus den Vertriebswegen geltend und begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht. Er ist Inhaber des am 24.2.2007 angemeldeten und am 21.6.2007 eingetragenen Gebrauchsmusters DE 20 2007 002 727, das am 26.7.2007 im Patentblatt bekannt gemacht wurde (Klagegebrauchsmuster). Es schützt ein Stanzwerkzeug zur Ablängung und Endenbearbeitung von Flachstabmaterial für Fensterbeschläge.

Die Beklagten zu 1 hat ein Löschungsverfahren gegen das Klagegebrauchsmuster im Umfang der Ansprüche 1, 3, 5-19 und 26 eingeleitet. Mit Beschluss vom 14.3.2013 (Anlage CBH 10) wurde das Klagegebrauchsmuster von der Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) teilgelöscht, soweit es über den Gegenstand des vom hiesigen Kläger gestellten Hilfsantrags 3 hinausgeht. Hilfsantrag 3 sieht folgenden Wortlaut des Hauptanspruchs 1 vor, der Gegenstand des vorliegenden Verletzungsstreits ist (ohne Bezugszeichen):

"Stanzwerkzeug zur Ablängung und Endenbearbeitung von mindestens zwei an einem Ende miteinander verbundenen Flachstäben für Fensterbeschläge, mit mindestens einem druckmittelbetätigten Antriebszylinder für den Hubantrieb eines Werkzeughalters mit mindestens einem eingebauten Stanzwerkzeug, nämlich einem Loch-, Präge- oder Ablängstempel, das mit einer Matrize zusammenwirkt, einer U-förmigen nach drei Seiten offenen Einlegeöffnung für das zu bearbeitende Flachstabmaterial, einer feststehenden Platte mit Durchgangsöffnungen zur Führung der Werkzeugstempel, die als Abstreifer für das Stanzabfallmaterial wirkt, sowie mindestens einem Abführkanal für das Abfallmaterial, dadurch gekennzeichnet, dass der mindestens eine Loch-, Präge- oder Ablängstempel achsparallel zur Längsachse des Antriebszylinders versetzt an der Kolbenstange des Arbeitskolbens des Antriebszylinders befestigt ist und eine Verdrehsicherung bildet, wobei der bzw. die Werkzeugstempel durch die Kolbenstange sowie die Führungs- und Abstreifplatte geführt ist bzw. geführt sind und einen oberen Abfallspalt zwischen einer Verlängerung der Führungs- und Abstreifplatte und einer Ausnehmung einer Zwischenmatrize für das Abfallmaterial sowie einen unteren Abfallspalt zwischen der Unterseite der Zwischenmatrize und einer unteren Schutzabdeckung des Werkzeugs, wobei die U-förmig ausgebildeten Abfallspalte nach drei Seiten offen sind."

Die Beklagte zu 1 hat gegen den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung vom 14.3.2013 Beschwerde eingelegt, mit der sie weiterhin die vollständige Löschung des Klagegebrauchsmusters erstrebt.

Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, stellt her und vertreibt eine Beschlagstanze mit der Typenbezeichnung B. (angegriffene Ausführungsform). Der Kläger ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Hauptanspruchs 1 wortsinngemäßen Gebrauch. Die Beklagten leugnen die Verletzung und bestreiten die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das LG den Rechtsstreit bis zur Entscheidung über die Beschwerde der Beklagten zu 1 gegen den Beschluss des DPMA vom 14.3.2013 ausgesetzt. Die Entscheidung über die Beschwerde sei für das vorliegende Verletzungsverfahren vorgreiflich; die angegriffene Ausführungsform falle in den Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters. Die Kammer übe ihr Ermessen gem. § 19 S. 1 GebrMG aber dahin aus, den Verletzungsstreit auszusetzen. Anders als im Patentverletzung...

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