Leitsatz (amtlich)
Gibt ein Rechtsanwalt einen an seinen in Untersuchungshaft befindlichen Mandanten gerichteten Brief des Hauptbelastungszeugen, der für die Beurteilung der Gluabwürdigkeit des Zeugen von Bedeutung ist, im Rahmen seiner Tätigkeit als Verteidiger an den Gefangenen weiter, handelt er nicht unbefugt im Sinn des § 115 Abs. 1 OWiG.
Verfahrensgang
AG Heidelberg (Entscheidung vom 05.07.2013; Aktenzeichen 15 OWi 200 Js 23626/12) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Heidelberg H. gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg H. vom 05. Juli 2013 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Betroffenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Heidelberg H. erließ am 11.02.2013 einen Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen. Dieser war im Herbst 2012 als Verteidiger für einen Beschuldigten tätig, der sich wegen des Verdacht der Vergewaltigung in Untersuchungshaft befand. In dem Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen zur Last gelegt, zwischen dem 17.10.2012 und dem 08.11.2012 dem Beschuldigten die Kopie eines Briefes übermittelt zu haben, den das mutmaßliche Opfer der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat an ihn geschrieben hatte.
Auf den Einspruch des Betroffenen sprach das Amtsgericht Heidelberg H. den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil aus Rechtsgründen frei. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
Entgegen der mit der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung war die Weitergabe des Briefes durch den Betroffenen nicht unbefugt i.S.d. § 115 Abs. 1 OWiG. Vielmehr war das Handeln des Betroffenen durch § 148 Abs. 1 StPO gedeckt, wonach dem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet ist.
Da ein ungehinderter Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem zu den unabdingbaren Voraussetzungen einer wirksamen Strafverteidigung gehört (vgl. BVerfG NJW 2007, 2749 ≪2750≫; 2010, 1740 ≪1741≫), muss die Verteidigung von jeder Behinderung oder Erschwerung freigestellt, der Anwalt wegen seiner Integrität als Organ der Rechtspflege jeder Beschränkung enthoben sein (BGHSt 27, 260 ≪262≫; 53, 257 ≪261≫; NJW 1973, 2035). Allerdings ist der Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem nur für die Zwecke der Verteidigung frei. Das Verteidigerprivileg des § 148 Abs. 1 StPO ist deshalb auf solchen Verkehr beschränkt, der unmittelbar der Vorbereitung oder Durchführung der Verteidigung dient, und umfasst daher nur Schriftstücke, die unmittelbar das Strafverfahren betreffen (BVerfG NJW 2010, 1740; BGHSt 26, 304; OLG Dresden NStZ 1998, 535; LG Tübingen NStZ 2008, 643; Gürtler in Göhler, OWiG, 16. Aufl., 2012, § 115 Rn. 21; Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl. 2006, §115 Rn. 33; Rebmann/Roth/Hermann, OWiG, 3. Aufl., § 115 Rn. 24; krit. Wieder StV 2010, 146).
Der vom Betroffenen übermittelte Brief wies indes einen solchen direkten Bezug zur Verteidigung auf. Zwar hatte sich das mutmaßliche Opfer darin nicht zu dem Vergewaltigungsvorwurf selbst geäußert. Die in dem Schreiben zum Ausdruck gebrachte positive Einstellung der Absenderin gegenüber dem Adressaten war jedoch - insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil an - für die Glaubhaftigkeit der Aussage des mutmaßlichen Tatopfers und damit für die Beurteilung des dem Beschuldigten gemachten Tatvorwurfs, der maßgeblich auf den Angaben des mutmaßlichen Tatopfers beruhte, von Bedeutung und betraf deshalb unmittelbar die Verteidigung des Beschuldigten gegen diesen Tatvorwurf.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO.
Fundstellen