Entscheidungsstichwort (Thema)

Befangenheit eines Sachverständigen bei Überschreitung des Gutachtenauftrags

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Überschreitung des gerichtlichen Auftrags in einem schriftlichen Gutachten kann unter Umständen eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen aus der Sicht einer Partei rechtfertigen.

2. Eine Besorgnis der Befangenheit ist allerdings nicht anzunehmen, wenn die Überschreitung des Auftrags darauf beruht, dass der Sachverständige den gerichtlichen Beweisbeschluss missverstanden hat, und wenn dieses Missverständnis aus der Sicht der Partei bei vernünftiger Betrachtung unter den gegebenen Umständen unschwierig erkennbar ist.

 

Normenkette

ZPO § 406 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Beschluss vom 28.05.2013; Aktenzeichen 6 O 14/12 B)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des LG Konstanz vom 28.5.2013 - 6 O 14/12 B - wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die im Jahr 1990 geborene Klägerin macht im Verfahren vor dem LG Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend. Die Klägerin begann im Jahr 2007 eine Bäckerlehre. 2010 musste die Klägerin diesen Beruf aufgeben, weil eine Mehlstauballergie festgestellt wurde. Nachdem die Klägerin außergerichtlich Ansprüche gegen die Beklagte geltend gemacht hatte, erklärte diese mit Schreiben vom 4.8.2010 den Rücktritt vom Vertrag. Die Klägerin habe bei Antragstellung im Jahr 2007 eine Frage nach Vorerkrankungen unzutreffend beantwortet. Denn sie sei, wie die Beklagte inzwischen festgestellt habe, im Juni 2005 wegen "Heuschnupfen" ärztlich behandelt worden.

Das LG hat wegen der geltend gemachten Ansprüche zunächst verschiedene Zeugen vernommen und sodann am 9.1.2013 den folgenden Beschluss erlassen:

"I. Die Klägerin macht als Versicherte Ansprüche gegen die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend.

Bei Vertragsschluss im Mai 2007 hat die Klägerin nicht angegeben, dass sie sich am 6.6.2005 in Behandlung ihres Hausarztes, Dr. G., befunden hatte. Dr. G. hatte nach eigenen Angaben (schriftliche Stellungnahme vom 19.7.2010, Anlage B 3; Zeugenaussage vom 1.8.2012, AS. 197 ff.) die Diagnose eines Heuschnupfens gestellt und zur Behandlung das Medikament Lorano verschrieben. Im Sommer 2006 nahm die Klägerin eine Ausbildung als Bäckerin auf.

Ein von Dr. G. am 4.4.2008 durchgeführter Allergietest verlief negativ (Anlage B 5).

Vom 2.2.2010 bis 7.2.2011 war die Klägerin arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der behandelnde Hautarzt Dr. L. diagnostizierte eine Mehlstauballergie (Anlage K 5).

II. Nach Durchführung der Beweisaufnahme gelangt das Gericht zu der vorläufigen Einschätzung, dass der Beklagten ein Rücktrittsrecht, zumindest aber eine Kündigungsmöglichkeit nach § 19 Abs. 3 VVG zusteht, da die Klägerin es versäumt hat, die Behandlung bei Dr. G. anzuzeigen, obwohl sie gefragt worden ist, ob sie sich wegen Allergien in Behandlung befunden habe. Arglist kann der Klägerin dagegen nicht zur Last gelegt werden.

Demnach ist die Beklagte nicht zu Leistungen aus dem Versicherungsvertrag verpflichtet, es sei denn, die Verletzung der Anzeigepflicht bezieht sich auf einen Umstand, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles oder für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist (§ 21 Abs. 2 VVG). Die Beweislast für die fehlende Kausalität trägt die Klägerin.

III. Es ist daher Beweis zu erheben über die Behauptung der Klägerin, der diagnostizierte Heuschnupfen sei in keinem Fall dafür ursächlich, dass der Versicherungsfall wegen einer Mehrstauballergie eingetreten sei, ein Zusammenhang zwischen dem diagnostizierten Heuschnupfen und der später eingetretenen Mehlstauballergie könne ausgeschlossen werden durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens.

Das Gutachten soll sich auch mit der Behauptung der Klägerin befassen, angesichts des negativ ausgefallenen Allergietests vom 4.4.2008 müsse davon ausgegangen werden, dass bei der Untersuchung im Jahre 2005 allenfalls ein Allergieverdacht vorgelegen haben könne.

Der Sachverständige wird gebeten, auch den Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen, es sei davon auszugehen, schon im Jahre 2005 habe die Mehlstauballergie vorgelegen und sei vom Hausarzt lediglich versehentlich als Heuschnupfen bewertet worden. Sofern tatsächlich ein Heuschnupfen vorgelegen haben sollte, sei es bei derartigen allergischen Erkrankungen geradezu typisch, dass die Patienten zunächst eine Allergie gegen bestimmte Stoffe entwickelten, zu einem späteren Zeitpunkt aber auch allergische Reaktionen wegen anderer Stoffe hinzu träten.

IV. Zum Sachverständigen wird bestellt:

Prof. Dr. med. W.

...

...

V. Die Beauftragung des Sachverständigen wird davon abhängig gemacht, dass die Klägerin bis 4.2.2013 einen Auslagenvorschuss von 1.500 EUR einbezahlt."

Der Sachverständige Prof. Dr. W. hat am 27.3.2013 ein schriftliches Gutachten erstattet. Daraufhin hat die Beklagte den Sachverständigen mit Schriftsatz vom 29.4.2013 abgelehnt; aus dem schriftl...

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