Entscheidungsstichwort (Thema)

Betäubungsmittelstrafrecht: Zurückstellung der Strafvollstreckung. Therapiebereitschaft nach mehrfachen Therapieabbrüchen

 

Leitsatz (redaktionell)

Da der Weg aus der Sucht ein langes, prozesshaftes Geschehen darstellt, gehören zu einem Behandlungserfolg in der Regel zahlreiche Therapieversuche mit der Folge, dass selbst mehrfache Therapieabbrüche nicht ohne weiteres zwangsläufig eine Therapiebereitschaft in Zweifel zu ziehen vermögen.

 

Verfahrensgang

GenStA Karlsruhe (Gerichtsbescheid vom 21.11.2001; Aktenzeichen Zs 1762/01)

 

Gründe

I.

Der heute 23 Jahre alte, in Deutschland geborene und aufgewachsene Antragsteller türkischer Staatsangehörigkeit ist seit mehreren Jahren drogenabhängig. Am 26. September 2000 verurteilte ihn das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - S. wegen unerlaubten Erwerbs von in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 102 Fällen, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 2 Fällen und wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung zweier früherer Verurteilungen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren. Das Urteil ist seit dem 5. Oktober 2000 rechtskräftig. Mit Beschluss vom 27. Dezember 2000 stellte das Amtsgericht - Vollstreckungsleiter - P. mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die weitere Vollstreckung der Jugendstrafe zur Durchführung einer stationären Drogentherapie in der Rehabilitationseinrichtung B. gem. § 35 BtMG zurück. Nach Entlassung aus der Jugendstrafhaft trat der Antragsteller die Therapie am 7. Februar 2001 an, musste aber bereits am 20. April 2001 aus der Einrichtung disziplinarisch entlassen werden. Der Antragsteller bemühte sich sodann unverzüglich um einen neuen Therapieplatz und wurde am 12. Juni 2001 in der Rehabilitationseinrichtung J. aufgenommen, wo er allerdings schon am 25. Juli 2001 ebenfalls aus disziplinarischen Gründen wieder entlassen wurde. Daraufhin widerrief das Amtsgericht P. mit Beschluss vom 26. Juli 2001 die Zurückstellung und ordnete die weitere Vollstreckung der Jugendstrafe an. Inzwischen hatte sich der Antragsteller in die Türkei abgesetzt, von wo aus er sich mit Hilfe seiner in Berlin lebenden Schwester erfolgreich um einen neuen Therapieplatz bei der dortigen Einrichtung N. bemühte.

Mit Beschluss vom 31. August 2001 versagte das Amtsgericht S. als Gericht des ersten Rechtszuges gleichwohl die Zustimmung zur erneuten Zurückstellung der Strafvollstreckung, da es dem Antragsteller angesichts der beiden Therapieabbrüche und dem anschließenden Untertauchen derzeit an Therapiebereitschaft und Therapiewillen fehle. Nachdem das Landgericht H. die hiergegen gerichtete Beschwerde des Vollstreckungsleiters beim Amtsgericht P. mit Beschluss vom 2. Oktober 2001 als unzulässig (hilfsweise auch als unbegründet) zurückgewiesen hatte, lehnte dieser mit Beschluss vom 18. Oktober 2001 die Zurückstellung der weiteren Strafvollstreckung wegen fehlender Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges ab. Der vom Verurteilten hiergegen eingelegten Beschwerde gab die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mit Bescheid vom 21. November 2001 keine Folge.

II.

Dem hiergegen gerichteten zulässigen Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 35 Abs. 2 BtMG, 23 ff. EGGVG ist der aus der Beschlussformel ersichtliche Erfolg nicht zu versagen.

Aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung des Zurückstellungsverfahrens gem. §§ 35 Abs. 1 und Abs. 2 BtMG, 28 Abs. 3 EGGVG hat der Senat die Entschließung der Vollstreckungsbehörde und die eine Zustimmung versagende Erklärung des erkennenden Gerichts lediglich auf Ermessensfehler und dahin zu überprüfen, ob ihnen ein zutreffend und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrundegelegt worden ist und die Grenzen eines zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten worden sind (vgl. nur Senat NStZ 1999, 253; OLG Saarbrücken NStZ-RR 1996, 50; Körner, BtMG 5. Aufl. § 35 Rdnrn. 216 ff.). Hiervon ausgehend kann die Zurückstellung der Vollstreckung der Jugendstrafe nicht wegen der vom Amtsgericht S. verweigerten Zustimmung abgelehnt werden, da dessen Einschätzung, der Antragsteller sei nicht therapiebereit bzw. nicht therapiewillig, einer tragfähigen Grundlage entbehrt. Zwar kann die Ablehnung der Zurückstellung grundsätzlich auch auf den fehlenden Therapiewillen eines Verurteilten gestützt werden. Allerdings genügen hierzu bloße Zweifel an einer ernsthaften und freiwilligen Therapiebereitschaft nicht, da das Fehlen einer Behandlungsmotivation für Drogenabhängige geradezu typisch ist. Der Weg aus der Sucht stellt ein langes, prozesshaftes Geschehen dar, so dass zu einem Behandlungserfolg in der Regel zahlreiche Therapieversuche gehören. Selbst mehrfache Therapieabbrüche vermögen daher nicht ohne weiteres zwangsläufig eine Therapiebereitschaft in Zweifel zu ziehen ...

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