Leitsatz (amtlich)

1. Bei Nachweis einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht, der sich auch aus einer entsprechenden Versicherung bei Rückgabe des anwaltlichen Empfangsbekenntnisses ergeben kann, ist die Zustellung an den Verteidiger auch dann wirksam, wenn sich eine Vollmacht nicht bei den Akten befindet.

2. Die Vertretung des abwesenden Betroffenen in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger setzt die Vorlage der schriftlichen Vertretungsvolmacht voraus.

3. Hat das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde bzw. den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen angeblicher Versäumung der Frist zur Begründung des Rechtsmittels als unzulässig verworfen, kann das Rechtsbeschwerdegericht im Regelfall zusammen mit der Entscheidung über den Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO über die Rechtsbeschwerde/den Antrag auf zulassung der Rechtsbeschwerde entscheiden.

 

Normenkette

StPO § 346 Abs. 2; OWiG § 73 Abs. 3; StPO § 37 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Heidelberg (Entscheidung vom 13.10.2016; Aktenzeichen 17 OWi 520 Js 11036/16)

 

Tenor

  1. Auf den Antrag des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Heidelberg vom 13. Oktober 2016 aufgehoben.
  2. Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 29. Juli 2016 wird kostenpflichtig (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet verworfen.
 

Gründe

I.

Mit Urteil vom 29.7.2016 verurteilte das Amtsgericht Heidelberg den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes zu der Geldbuße von 70 €. An der Hauptverhandlung nahm der Betroffene nur am ersten Terminstag teil. Zu Beginn des Fortsetzungstermins, zu dem der Betroffene nicht erschienen war, beantragte seine Verteidigerin, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält dazu folgenden - formularmäßig vorgedruckten - Text:

"D. Verteidiger beantragt, d. Betroffene/n von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden und in Abwesenheit d. Betroffene/n zu verhandeln. Es wird festgestellt, dass der Verteidiger [der vorgedruckte Text "ausweislich der Vollmacht AS." ist handschriftlich gestrichen] vertretungsbefugt ist."

Das Amtsgericht entsprach dem Antrag und setzte die Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen fort.

Im Folgenden verfügte die Vorsitzende unter Hinweis darauf, dass eine Vollmacht der Verteidigerin nicht vorlag, die Zustellung des schriftlichen Urteils an den Betroffenen, die am 9.9.2016 bewirkt wurde. Der am 5.8.2016 gestellte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde mit am 12.10.2016 eingekommenem Schriftsatz der Verteidigerin begründet. Das Amtsgericht verwarf das Rechtsmittel als unzulässig, weil es die Frist zur Begründung als nicht gewahrt ansah. Der Verwerfungsbeschluss wurde sowohl dem Betroffenen selbst (am 19.10.2016) als auch der Verteidigerin (am 21.10.2016) zugestellt. Am 28.10.2016 wurde Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gestellt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat beantragt, den Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts als unbegründet, hilfsweise den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Auf den Antrag des Betroffenen ist der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts aufzuheben, weil die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde fristgerecht erfolgt ist.

1. Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist innerhalb der Wochenfrist der §§ 80 Abs. 4 Satz 2, 346 Abs. 2 Satz 1 StPO gestellt und deshalb zulässig.

Die Frist begann mit der Zustellung des angefochtenen Beschlusses an die Verteidigerin zu laufen (§§ 35 Abs. 2 Satz 1, 37 Abs. 2 StPO). Insoweit ist es ohne Bedeutung, dass sich zum Zeitpunkt der Zustellung eine Verteidigervollmacht nicht bei den Akten befand (vgl. dazu einerseits BayObLGSt 1992, 157; OLG Düsseldorf NStZ 1988, 327; andererseits OLG Düsseldorf VRS 73, 389). Denn jedenfalls hat die Verteidigerin mit der Bestätigung im Empfangsbekenntnis, zur Entgegennahme legitimiert zu sein, den Nachweis einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht und damit der Empfangsberechtigung i.S.d. § 37 Abs. 2 StPO erbracht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8.10.2015 - 2 (7) SsBs 467/15 - AK 146/15, [...], und vom 16.9.2016 - 2 (7) SsBs 507/16 - AK 173/16, [...]; KG VRS 125, 230; BayObLG NJW 2004, 1263).

2. Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist auch begründet, weil der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde innerhalb der dafür vorgesehenen Frist begründet wurde.

Die Begründungsfrist begann - entgegen der Annahme des Amtsgerichts - vorliegend nicht bereits mit der Zustellung des Urteils am 9.9.2016 zu laufen. Da das Urteil in Abwesenheit des Betroffenen und nicht in Anwesenheit eines Verteidigers mit schriftlicher Vertretungsvollmacht verkündet wurde, wurde hierdurch erst die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels in Gang gesetzt, an die sich die einmonatige Begründungsfrist anschloss (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 und 2 OWiG, 345 Abs. 1 Satz 1 StPO), die somit erst am ...

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