Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff der mäßigen Geschwindigkeit in einer Fahrradstraße
Leitsatz (amtlich)
›In einer Fahrradstraße ist eine Geschwindigkeit als mäßig anzusehen, die derjenigen des Fahrradverkehrs angepasst ist. Schneller als 30 km/h darf nicht gefahren werden.‹
Gründe
Mit Bußgeldbescheid der Stadt vom 4.6.2004 wurde gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße von 15 EUR festgesetzt. Auf seinen Einspruch hat das Amtsgericht ihn mit der angegriffenen Entscheidung freigesprochen. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die zur Fortbildung des Rechts zuzulassen und deren Entscheidung dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen war, führt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und zur Verurteilung des Betroffenen.
Das Amtsgericht ist zwar in Übereinstimmung mit dem Bußgeldbescheid davon ausgegangen, dass der Betroffene mit seinem Kraftfahrzeug eine Fahrradstraße mit einer Geschwindigkeit von 43 km/h befahren hat. Abweichend von der Bußgeldbehörde, die ihrem Bescheid eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von maximal 30 km/h zugrundegelegt hat, hat es diese jedoch nicht als überhöht gewertet. Diese Rechtsansicht hält der Überprüfung durch den Senat nicht stand.
Für sog. Fahrradstraßen regelt § 41 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 StVO mit dem Zeichen 244 abweichend von den grundsätzlich auch dort geltenden Vorschriften über die Benutzung von Fahrbahnen, dass diese von anderen Fahrzeugführern als Radfahrern nur benutzt werden dürfen, wenn es - wie vorliegend - durch ein Zusatzschild zugelassen ist, alle Fahrzeuge eine mäßige Geschwindigkeit einhalten müssen und Radfahrer nebeneinander fahren dürfen. Gegen dieses Gebot der mäßigen Geschwindigkeit hat der Betroffene mit der Geschwindigkeit von 43 km/h verstoßen.
1. Der Begriff der "mäßigen Geschwindigkeit" findet sich - neben § 41 Abs. 2 Nr. 5 - in den §§ 5 Abs. 8, 8 Abs. 2, 19 Abs. 1 S. 2 und 26 Abs. 1 S. 2 StVO, ohne dass die Straßenverkehrsordnung allerdings eine allgemeine Definition der "mäßigen Geschwindigkeit" oder allgemeingültige Kriterien zur Bestimmung ihrer erlaubten Höhe kennt. Diese richtet sich vielmehr nach dem Zusammenhang der jeweiligen Vorschrift und den Gefahren, die sie vermeiden soll. Während nämlich der Begriff der "mäßigen Geschwindigkeit" in § 8 Abs. 2 und § 26 Abs. 1 S. 2 StVO abstrakt, d.h. ohne Ansehen der Straßenverhältnisse und der konkreten Verkehrssituation allein im Hinblick auf die Bremsmöglichkeit gedeutet wird (Hentschel zu § 5 StVO Rn 56; zu § 26 StVO Rn 16 m.w.Nachw; OLG Düsseldorf NZV 1988, 111), wird bei § 19 Abs. 1 S. 2 StVO auf die straßenbaulich bedingten Sichtverhältnisse und etwaige Warnsignale abgestellt (Hentschel zu § 19 StVO Rn 15; BayObLG NJW 1985, 1568; OLG Stuttgart VRS 80, 410). In § 5 Abs. 8 StVO soll es dagegen auf die konkreten Verkehrsverhältnisse und die sich daraus ergebende Beherrschbarkeit der beim Überholen entstehenden Gefahren ankommen (OLG Hamm NZV 2000, 126). Entsprechend muss auch die erlaubte Höhe der "mäßigen Geschwindigkeit" in Fahrradstraßen im Wege der Auslegung aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift und der Gefahrenlage, der sie Rechnung tragen soll, bestimmt werden.
§ 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO regelt die sog. Sonderwege, die grundsätzlich nur von den für sie vorgesehenen Verkehrsmitteln benutzt werden dürfen. Das Zeichen 244 in § 41 StVO bestimmt folglich mit der Fahrradstraße einen Sonderweg, der von anderen Fahrzeugführern als Radfahrern nur befahren werden darf, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist. Das bedeutet, dass der Fahrradverkehr dort die Regel, der Autoverkehr die Ausnahme ist (vgl. Kettler NZV 1997, 497; Hentschel NJW 1998, 346; Bouska DAR 1997, 337). Schon daraus folgt, dass sich der Kraftfahrzeugverkehr in den vorherrschenden Fahrradverkehr einpassen und an dessen Geschwindigkeit anpassen muss. Eine Geschwindigkeit, die den von der Fahrradgeschwindigkeit geprägten Verkehrsverhältnissen entspricht, darf nicht überschritten werden (Hentschel zu § 41 StVO Rn 248). Für diese Auslegung spricht auch der systematische Zusammenhang, in dem sich das Zeichen 244 im Anschluss an das Zeichen 242 findet, das den sog. Fußgängerbereich regelt, in dem "Schrittgeschwindigkeit", also eine dem Fußgängerverkehr angepasste Geschwindigkeit, eingehalten werden muss. Nur eine dem Fahrradverkehr entsprechende Geschwindigkeit ist auch geeignet, die Gefahren, denen mit dem Gebot der "mäßigen Geschwindigkeit" vorgebeugt werden soll, zu vermeiden. Denn die Nutzer der Fahrradstraße müssen sich im Hinblick auf den Charakter dieser Straße als Sonderweg darauf einstellen, dass Fahrradfahrer mit der ihnen möglichen Geschwindigkeit die Fahrradstraße befahren. Auch noch nicht sichtbare Fahrradfahrer können jederzeit - etwa aus einer Seitenstraße oder aus einer Ausfahrt - in diese einfahren (vgl. OLG Karlsruhe NZV 2004, 421 zur "Spielstraße"), wobei sie - auch wenn sie bei Einfahrt in die Fahrradstraße die Vorfahrtsregeln beachten müssen - regelmäßig...