Leitsatz (amtlich)
1. Bestätigt die Verteidigerin im Empfangsbekenntnis, zur Entgegennahme legitimiert zu sein, genügt dies zum Nachweis einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht.
2. Wird das Urteil erst nach Ablauf der Fertigstellungsfrist unterschrieben, steht dies einer fehlenden Unterschrift gleich; es ist daher auf die Sachrüge aufzuheben.
3. Enthält der Bußgeldbescheid, durch den eine Verbandsgeldbuße verhängt wird, keine Feststellungen zur subjektiven Seite bei der Leitungsperson, ist eine Beschränkung des Einspruchs auf die Höhe der Geldbuße unwirksam; der Bußgeldbescheid ist deshalb insgesamt angefochten.
Verfahrensgang
AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 21.04.2015; Aktenzeichen 37 OWi 440 Js 6125/15) |
Tenor
- Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 21. April 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Freiburg zurückverwiesen.
- Der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 29. Juni 2015 ist gegenstandslos.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Freiburg hat die Betroffene mit Urteil vom 21.04.2015 - 37 OWi 440 Js 6125/15 - im Tenor wie folgt verurteilt:
"Die Betroffene hat am 27.10.2014 in K., H.str., Spielhallen P. 1 und 2 als Aufsteller von Spielgeräten nicht dafür gesorgt, dass der Sichtschutz ordnungsgemäß war.
In zwei Fällen betrug der Sichtschutz in der Spielhalle P. 1 von der Tiefe her nur 50 cm statt der geforderten 80 cm. Der vorhandene Sichtschutz hatte zudem einen sehr großen Ausschnitt, sodass das Beobachten des Nachbargerätes möglich war.
In der Spielhalle P. 2 betrug der Abstand zwischen zwei Zweiergruppen nur 2 m statt der geforderten 3 m. Ein Sichtschutz war nicht vorhanden.
Sie wird deswegen zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt."
Die ausweislich des Protokolls verkündete Kostenentscheidung ("D. Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und seine/ihre notwendigen Auslagen") wurde im Tenor des schriftlichen Urteils nicht aufgeführt.
Nachdem die zulässig eingelegte Rechtsbeschwerde nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils begründet worden war, wurde sie zunächst durch Beschluss des Amtsgerichts vom 29.06.2015 als unzulässig verworfen. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 20.07.2015 wurde der Betroffenen auf deren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt. Mit der Rechtsbeschwerde wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat mit Schriftsatz vom 13.08.2015 beantragt,
den Beschluss vom 29.06.2015 sowie das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 21.04.2015 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Freiburg zurückzuverweisen.
Die gem. § 79 Satz 1 Abs. 1 und 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen in Verbindung mit der gewährten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, hat (vorläufig) Erfolg.
II.
1. Das Amtsgericht hat über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde entschieden, obgleich es sachlich nicht zuständig war; über den Antrag hätte das Rechtsbeschwerdegericht entscheiden müssen (§ 46 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG; Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 79 Rn. 34d; KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 79 Rn. 63). Ungeachtet dieser Unzuständigkeit ist der Senat als Rechtsbeschwerdegericht - jedenfalls bei Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - gleichwohl hieran gebunden (Göhler/Seitz, a.a.O., § 79 Rn. 34d; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 346 Rn. 32). Der Beschluss vom 29.06.2015, durch den die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen worden war, war ergänzend noch für gegenstandslos zu erklären (KK-Senge, OWiG, a.a.O., § 79 Rn. 63 a.E.; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 341 Rn. 22).
2. Die vom Senat von Amts wegen zu prüfende Wirksamkeit der Zustellung des Urteils an die Verteidigerin machte keine erneute Zustellung erforderlich.
a) Das Urteil wurde durch die (bloße) Zustellung an die Verteidigerin unter dem Gesichtspunkt der Bevollmächtigung wirksam zugestellt (§ 343 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), obwohl sich bei den Akten keine Vollmacht befindet (§ 145a Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG; vgl. auch § 51 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz OWiG). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Wirksamkeit einer Zustellung an den Verteidiger nicht nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Vollmacht (Vollmachtsurkunde bei den Akten), sondern auch bei einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht in Betracht kommen kann. Die rechtsgeschäftliche Vollmacht kann allerdings nicht durch das bloße Tätigwerden des Verteidigers als solches angenommen werden (BGHSt 4...