Leitsatz (amtlich)
Es ist nicht zulässig, im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 (1 BvR 3295/07, NJW 2011, 909) Verfahren zur Feststellung der Änderung der Geschlechtszugehörigkeit (§ 8 TSG) bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auszusetzen.
Verfahrensgang
AG Mannheim (Beschluss vom 04.04.2011; Aktenzeichen 2 UR III 4/11) |
Tenor
1. (...)
2. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG Mannheim vom 4.4.2011 - (...) 2 UR III 4/11 - aufgehoben.
3. Die in der Beschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers werden der Landeskasse auferlegt.
4. Der Beschwerdewert wird auf EUR 3.000 festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller wendet sich dagegen, dass das AG ein Verfahren zur Feststellung der Änderung der Geschlechtszugehörigkeit mit Rücksicht auf eine Entscheidung des BVerfG bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung ausgesetzt hat.
Der Antragsteller wurde am (...) geboren. Der Geburtseintrag erfolgte unter dem Namen K., das Geschlecht wurde mit weiblich angegeben. Durch Beschluss des AG Mannheim vom 14.5.2009 wurde der Geburtsname des Antragstellers in T. geändert, nachdem zwei Gutachter bestätigt hatten, dass sich der Antragsteller dauerhaft dem männlichen Geschlecht zugehörig fühle und unter dem Zwang stehe, dieser Vorstellung entsprechend leben zu müssen. Mit einem an das AG gerichteten Schreiben vom 31.1.2011 beantragte der Antragsteller, seinen Personenstand in "männlich" zu ändern. Nach dem Urteil des BVerfG vom 11.1.2011 seien die § 8 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 TSG nicht anwendbar. Die übrigen Voraussetzungen der Personenstandsänderung lägen nach den im Rahmen der Vornamenänderung eingeholten Gutachten vor.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG das Verfahren ausgesetzt. Dies sei erforderlich, weil der Gesetzgeber die Materie nach dem Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 (1 BvR 3295/07) noch nicht neu geregelt habe. Das BVerfG habe § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nicht anwendbar erklärt. Dies habe eine Normanwendungssperre bis zum Erlass einer neuen gesetzlichen Regelung zur Folge.
Gegen diese Entscheidung, die ihm am 9.4.2011 zugestellt worden ist, richtet sich die am 19.4.2011 eingegangene, mit einem Beiordnungsantrag verbundene Beschwerde des Antragstellers. Nach der Entscheidung des BVerfG dürfe die Personenstandsänderung nicht mehr davon abhängig gemacht werden, dass der transsexuelle Mensch dauernd fortpflanzungsunfähig sei oder sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen habe. Eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber komme nicht in Betracht, da das BVerfG dem Gesetzgeber eine Neuregelung nicht aufgegeben habe; dieser könne es daher auch beim derzeitigen Rechtszustand belassen.
Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat sich der Auffassung des AG angeschlossen.
II. Die sofortige Beschwerde ist nach § 21 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 567 ZPO zulässig, insbesondere in der zweiwöchigen Frist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
A. Das AG durfte das Verfahren nicht aussetzen, da der hierfür erforderliche wichtige Grund (§ 21 Abs. 1 FamFG) fehlt. Ein solcher kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber das Transsexuellengesetz bisher nicht reformiert hat, nachdem es vom BVerfG als teilweise mit dem Grundgesetz nicht vereinbar erklärt worden ist.
1. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 11.1.2011 (1 BvR 3295/07, NJW 2011, 909) das Transsexuellengesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, soweit die Feststellung der Zugehörigkeit zu dem anderen Geschlecht in § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG davon abhängig gemacht wird, dass die oder der Betroffene dauernd fortpflanzungsunfähig ist und sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist. Es hat dabei (Tz. 80) "angesichts der Schwere der Beeinträchtigung, die ein Transsexueller dadurch erfährt, dass sein empfundenes Geschlecht personenstandsrechtlich nicht anerkannt wird" ausdrücklich angeordnet, dass § 8 Absatz Nr. 3 und 4 TSG bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung nicht anwendbar seien. Eine Zurückweisung des Antrags wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG ist vor diesem Hintergrund nicht möglich.
2. Das Verfahren darf auch nicht ausgesetzt werden.
a) Es ist zwar zutreffend, dass das BVerfG die angegriffene Norm wegen der verschiedenen in Betracht kommenden Regelungskonzepte nicht für nichtig, sondern (lediglich) für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hat (a.a.O., Tz. 79), weil der Gesetzgeber die Möglichkeit habe, für die personenstandsrechtliche Anerkennung des empfundenen Geschlechts spezifiziertere Voraussetzungen zum Nachweis der Ernsthaftigkeit des Bedürfnisses, im anderen Geschlecht zu leben, aufzustell...