Entscheidungsstichwort (Thema)
Abstand. Sicherheitsabstand. Vorsatz. Fahrlässigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zu den erforderlichen Feststellungen für die Annahme von Vorsatz bei der Unterschreitung des Sicherheitsabstands.
Ohne Vorliegen konkreter dagegensprechender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass einem Fahrzeugführer das Unterschreiten des Sicherheitsabstandes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 StVO) jedenfalls dann bewusst gewesen ist und er dies zumindest billigend in Kauf genommen hat, wenn er über einen Zeitraum, in dem er den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmen, mittels der in der Fahrschülerausbildung üblicherweise gelehrten Methoden (2-Sekunden-Test für Außerortsverkehr, Anzahl der Fahrzeuglängen oder Anzahl der zwischen den Fahrzeugen befindlichen Leitpfosten) überprüfen und korrigieren konnte, bei nicht abnehmender Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs lediglich einen Abstand von weniger als ein Viertel des Tachowertes einhält, so dass ein Schätzfehler fernliegt und die Begründung von Fahrlässigkeit gleichsam rechtsfehlerfrei nicht mehr möglich wäre.
Normenkette
StVO § 4
Verfahrensgang
AG Karlsruhe (Entscheidung vom 13.05.2019; Aktenzeichen 6 OWi 410 Js 9266/19) |
Tenor
- Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 13. Mai 2019 (6 OWi 410 Js 9266/19) wird als unbegründet verworfen.
- Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Karlsruhe hat den Betroffenen am 13.05.2019 wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen eine Vorschrift über den Abstand nach § 4 StVO zu einem Bußgeld von 480 € verurteilt und - unter Gewährung der 4-monatigen Schonfrist nach § 25 Abs. 2a StVG - ein Fahrverbot von zwei Monaten festgesetzt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem vorausfahrenden Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 115 km/h über eine Fahrstrecke von ca. 500 Meter lediglich 11 Meter betragen.
Gegen diese Verurteilung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Mit Beschluss vom 12.09.2019 hat der originär zuständige Einzelrichter die Rechtsbeschwerde auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80 Abs. 1 und 3 OWiG).
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
Die Generalstaatsanwaltschaft führt in der Begründung ihres Antrags vom 01.08.2019 auf Verwerfung der Rechtsbeschwerde des Betroffenen Folgendes aus:
"Die in zulässiger Weise erhobene Rechtsbeschwerde des Betroffenen, deren Zulassung es nicht bedarf (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG), ist unbegründet.
Die Überprüfung des Urteils auf die - zwar nicht ausdrücklich so bezeichnete, aber aus der Gesamtheit der Ausführungen zu entnehmende - Sachrüge lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen. Die ohne Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze widerspruchsfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen eine Vorschrift über den Abstand nach § 4 StVO.
Soweit der Betroffene rügt, dass eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die Abstandsvorschrift zu Unrecht erfolgt sei, weil das Gericht auf Seite 3 unter Punkt II. von einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit spreche, weisen die Urteilsgründe unter Ziffer II., 1. und 3. Abschnitt, in der Tat folgende Formulierungen auf: "Der Betroffene hat (...) folgende fahrlässige Ordnungswidrigkeit begangen: (...) Der Betroffene hätte diesen Verstoß bei Aufwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt leicht vermeiden können." Diese Formulierungen stehen im Widerspruch zur im Tenor ausgesprochenen Verurteilung wegen vorsätzlichen Verstoßes. Widersprüche zwischen Tenor und Gründen sind - wie geschehen - mit der Sachrüge angreifbar (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 267, Rn. 39 a). Indes lässt sich aus der Gesamtschau des Urteils ableiten, dass die Formulierungen auf einem Schreibversehen beruhen, im Wortsinne nur formelhaft verwendet wurden und somit ein nur scheinbarer Widerspruch gegeben ist. Denn in den weiteren Urteilsgründen legt das Gericht - hier nicht nur formelhaft, sondern unter Bezugnahme auf den konkreten Sachverhalt - dar, dass es von einer vorsätzlichen Begehungsweise überzeugt ist (UA, S. 6-7, 4. Abschnitt). Die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise wiederholt das Gericht sodann jeweils zweifach unter Ziffer IV. und V. des Urteils (UA, S. 7). Bei einem solchen Scheinwiderspruch kann das Urteil Bestand haben (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO und § 354, Rn. 33).
Soweit der Betroffene darüber hinaus rügt, dass das Gericht insgesamt rechtsfehlerhaft auf Vorsatz erkannt habe, greift er die Beweiswürdigung an. Hier ist zu berücksichtigen, dass diese mit der Sachrüge nur dann erfolg...