Leitsatz (amtlich)

1. Einwendungen in Bezug auf die Garantie eines fairen Strafverfahrens in der Türkei im Allgemeinen stehen, wie Anhaltspunkte für unmenschliche Haftbedingungen in den türkischen Haftanstalten im Allgemeinen, der Zulässigkeit der Auslieferung zur Strafverfolgung wegen Delikten ausschließlich aus dem Bereich der Allgemeinkriminalität bei Abgabe konkreter und belastbarer Zusicherungen nicht von vornherein entgegen.

2. Dies gilt in Bezug auf die Haftbedingungen jedenfalls dann, wenn die türkischen Behörden (neben der Zusicherung der Unterbringung des Verfolgten in der Justizvollzugsmodellanstalt Yalvac unter den Anforderungen aus Art. 3 EMRK entsprechenden Haftbedingungen) auch für die Dauer des Strafprozesses - an einem von Yalvac/Provinz Isparta ggf. mehrere hundert Kilometer entfernten Hauptverhandlungsort - eine konkrete Haftanstalt in der Nähe des Hauptverhandlungsortes benennen und unter detaillierten Ausführungen zu den dort gerade den Verfolgten erwartenden Haftverhältnissen belastbar zusichern, dass der Verfolgte für die Dauer des Strafprozesses in der benannten Haftanstalt auf eine Weise inhaftiert wird, die den Anforderungen nach Art. 3 EMRK entspricht.

 

Normenkette

IRG § 33 Abs. 1, 4; EMRK Art. 3, 6; EuAlÜbk Art. 13

 

Tenor

  1. Eine erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung in die Türkei aufgrund des Auslieferungsersuchens des Justizministeriums der Republik Türkei vom 18. Juni 2019 (Az....), das durch Verbalnoten der Republik Türkei vom 1. November 2021, 20. Januar 2022, 28. März 2022, 9. Februar 2023, 23. Mai 2023 und 24. Juli 2023 ergänzt wurde, ist nicht veranlasst. Es sind - nach durchgeführter weiterer Sachaufklärung - nach abschließender Prüfung keine Umstände eingetreten, die eine andere Entscheidung über die Zulässigkeit zu begründen geeignet sind (§ 33 Abs. 1 und 2 IRG).
  2. Der mit Beschluss vom 19. Dezember 2022 gem. § 33 Abs. 4 IRG angeordnete Aufschub der Auslieferung des Verfolgten in die Türkei zur Strafverfolgung aufgrund des Auslieferungsersuchens des Justizministeriums der Republik Türkei vom 18. Juni 2019 (Az....), das durch Verbalnoten vom 1. November 2021, 20. Januar 2022, 28. März 2022, 9. Februar 2023, 23. Mai 2023 und 24. Juli 2023 ergänzt wurde, wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass die Bewilligungsbehörde die Bewilligung vom 5. September 2022 dahingehend ergänzt, dass die Überstellung des Verfolgten in Bezug auf sein Recht auf ein faires Strafverfahren und die vom Verfolgten zu erwartenden Haftbedingungen ausdrücklich auf der Grundlage der von den türkischen Justizbehörden abgegebenen völkerrechtverbindlichen Zusicherungen vom 1. November 2021, 9. Februar 2023, 23. Mai 2023 und 24. Juli 2023 erfolgt.
 

Gründe

I.

Die Republik der Türkei betreibt mit dem Auslieferungsersuchen vom 18.06.2019 die Auslieferung des auf freiem Fuß befindlichen Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung. Ausweislich der förmlichen Auslieferungsunterlagen, die in Bezug auf die Mengen- und Wirkstoffangaben der beschlagnahmten Betäubungsmittel mit Verbalnote vom 28.03.2022 ergänzt wurde, wird dem Verfolgten zur Last gelegt, im Mai 2017 in Izmir gemeinsam mit zwei Mittätern illegale Betäubungsmittel beschafft und mit Ihnen Handel getrieben zu haben, wobei im Rahmen der Ermittlungen bei einer Durchsuchung u.a. insgesamt 2 kg grüne Cannabispflanzen, aus denen 1664 Gramm Rauschgift hergestellt werden kann, 3 Ecstasy-Tabletten (0,85 g) mit 0,272 g Wirkstoff MDMA, 5,4 Gramm weißes Pulver, welches 0,12 Gramm Kokain enthielt, 77,7 Gramm weißes Pulver, welches 10,101 Gramm Kokain enthielt, sichergestellt wurden.

Der Verfolgte befand sich nach seiner Festnahme am 09.09.2021 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts F vom 26.01.2018 (61 Gs 697/18) in anderer Sache in Untersuchungshaft in der JVA G. Bei seiner Festnahme am 09.09.2021 hat der Verfolgte falsche Personalien angegeben und konnte erst über seinen Fingerabdruck identifiziert werden. In seinem rechten Schuh führte er einen falschen bulgarischen Führerschein und eine falsche bulgarische ID-Karte (jeweils Totalfälschung) mit sich. Mit seit 29.03.2022 rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts F vom 14.03.2022 (3 Ls /17) wurde der Verfolgte zwischenzeitlich wegen versuchten gewerbsmäßigen Betrugs (als Mittäter einer Bande von Telefonbetrügern, die unter Vorspiegelung Polizeibeamte zu sein, versuchten, von einem getäuschten Opfer 45.000 Euro zu erlangen) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verfolgte wurde in eine Asylbewerberunterkunft in F entlassen und befindet sich seither auf freiem Fuß. Nach Mitteilung der Regierung von H vom 19.08.2022 ist der Verfolgte, dessen Asylantrag durch Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 01.06.2022 als offensichtlich unbegründet abgelehnt und dessen hiergegen gerichtete Klage mit Urteil des Verwaltungsgerichts F vom 19.07.2022 abgewiesen wurde, seit dem ...

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