Leitsatz (amtlich)
1. Die in einer formularmäßigen Strafprozessvollmacht enthaltene Ermächtigung des vom Angeklagten speziell für das Berufungsverfahren beauftragten (weiteren) Verteidigers zur Rücknahme von Rechtsmitteln ermächtigt als ausdrückliche Ermächtigung i.S.v. § 302 Abs. 2 StPO diesen zur Rücknahme einer (vom anderern Verteidiger zuvor eingelegten) Berufung.
2. Die Erklärung über die Rücknahme der Berufung kann vom Verteidiger wirksam durch per Telefax an das Gericht übermitteltes Schreiben erfolgen; eine Verpflichtung zur Übermittlung der Erklärung gemäß § 32d S. 2 StPO als elektronisches Dokument besteht nicht.
Normenkette
StPO §§ 32d, 302 Abs. 2
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Mosbach vom 10. Oktober 2022 (3 Ns 25 Js 75/22) wird aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen der angefochtenen Entscheidung, welchen der Senat beitritt, kostenpflichtig (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Mosbach verurteilte den Angeklagten am 25.04.2022 wegen versuchter Nötigung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30,- Euro, entzog ihm die Fahrerlaubnis, zog seinen Führerschein ein und setzte eine Sperrfrist von 9 Monaten für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis fest. Sein Verteidiger, Rechtsanwalt A., legte am 29.04.2022 fristgerecht unter Wahrung der Form des § 32d S. 2 StPO gegen das Urteil Berufung ein. Nach Vorlage der Akten an das Landgericht zeigte Rechtsanwalt B. am 04.07.2022 die Verteidigung des Angeklagten an und reichte nach Gewährung von Akteneinsicht mit am 08.08.2022 beim Landgericht eingegangenem Schreiben die Kopie einer vom Angeklagten am 30.06.2022 unterzeichneten Vollmacht für das Berufungsverfahren vor, in welcher Rechtsanwalt B. ausdrücklich ermächtigt wurde, Rechtsmittel zurückzunehmen. Wenige Tage vor dem anberaumten Termin zur Berufungshauptverhandlung erklärte Rechtsanwalt B. mit Telefax vom 05.10.2022, eingegangen beim Landgericht am 07.10.2022 (11.21 Uhr):
"Nehmen wir namens und in Auftrag des Angeklagten die eingelegte Berufung zurück".
Nach Aufhebung des Hauptverhandlungstermins im Hinblick auf die Berufungsrücknahme, den Verteidigern mitgeteilt per Fax vom 07.10.2022 (12.35 Uhr), "korrigierte" mit Fax vom 07.10.2022, eingegangen beim Landgericht an diesem Tag (13.27 Uhr), Rechtsanwalt B. seine Erklärung wie folgt:
"Der Beschuldigte nimmt die eingelegte Berufung nicht zurück. Der Beschuldigte wird vom Unterzeichner nicht weiter anwaltlich vertreten. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen, es gab ein Kommunikationsmissverständnis mit dem Mandanten."
Mit Schreiben vom 14.10.2022 teilte Rechtsanwalt B. ergänzend Folgendes mit:
"wird nochmals klargestellt, dass der Verteidiger Rechtsanwalt B. vom Angeklagten nicht ausdrücklich zur Rücknahme beauftragt wurde. Der Unterzeichner ging fälschlicherweise davon aus, dass eine Berufungsrücknahme gewünscht sei. Dies war aber zu keinem Zeitpunkt der Fall. Die Berufungsrücknahme erfolgte alleine durch einen Kanzleifehler des Verteidigers."
Mit Beschluss vom 10.10.2022 stellte das Landgericht Mosbach die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme und die Erledigung des Berufungsverfahrens fest. Gegen diesen Beschluss richtet sich die von Rechtsanwalt A. form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde.
II.
Die sofortige Beschwerde ist entsprechend § 346 Abs. 2 StPO zulässig. Sie ist aber unbegründet, da die Berufung von Rechtsanwalt B. wirksam zurückgenommen wurde.
1. Rechtsanwalt B. hat als (damaliger) Verteidiger des Angeklagten mit beim Landgericht am 07.10.2022 eingegangenem Schreiben unmissverständlich die Rücknahme der am 29.04.2022 eingelegten Berufung des Angeklagten erklärt. Der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung steht nicht entgegen, dass Rechtsanwalt B. nur in der Strafprozessvollmacht die allgemeine Ermächtigung erteilt worden ist, Rechtsmittel zurückzunehmen. Denn Rechtsanwalt B. war als Verteidiger erst am 30.06.2022 speziell für die Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt worden, weshalb die Ermächtigung als i.S.v. § 302 Abs. 2 StPO ausdrücklich auf die Berufung bezogen angesehen werden muss (vgl. BGHR StPO § 302 II Rücknahme 5; BGH NStZ 1998, 531; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 302 Rn. 32 mwN). Diese Ermächtigung bestand auch noch zu dem Zeitpunkt, zu welchem die Erklärung von Rechtsanwalt B. über die Rücknahme der Berufung beim Landgericht einging (07.10.2022, 11.21 Uhr); sie erlosch erst mit der am 07.10.2022 um 13.27 Uhr angezeigten Mandatsbeendigung.
2. Zwar ist der Widerruf der Ermächtigung jederzeit zulässig und wird schon dann wirksam, wenn ihn der Angeklagte mündlich oder fernmündlich dem Gericht oder dem ermächtigten Verteidiger gegenüber erklärt. Der Widerruf führt jedoch nur dann zur Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts, wenn er gegenüber dem Gericht oder dem Verteidiger erklärt worden ist, bevor die Verzichtserklärung bei de...